Die vielen Leben der Edith Stein

Edith Stein ist die vielleicht stolpersteinreichste Frau Kölns. Den ersten habe ich bin bei meinem Spaziergang durch das Pantaleonsviertel gefunden und bin so auf sie aufmerksam geworden. Zwei weitere Stolpersteine erinnern in Lindenthal und Hohenlind an sie. Außerdem gibt es ein Edith-Stein-Denkmal am Börsenplatz mitten in der Innenstadt. Sie hat also Spuren hinterlassen. Wer war Edith Stein? Eine kluge, beeindruckende Frau, für mich schwer greifbar, mit einer traurigen Geschichte. Machen wir uns auf die Suche in Köln und darüber hinaus!

Wissenschaft und Glauben

Edith Stein kommt 1891 in Breslau als Kind einer jüdisch-orthodoxen Familie auf die Welt. Ihr Vater stirbt wenige Jahre nach ihrer Geburt. Nach seinem Tod führt die Mutter das familiäre Holzgeschäft fort, vielleicht sogar erfolgreicher als zuvor. Edith genießt eine sehr gute Schulbildung, nicht selbstverständlich für Mädchen zu der Zeit, und legt das Abitur mit Auszeichnung ab.

Sie beginnt 1911 ein Lehramtsstudium in den Fächern Germanistik, Geschichte und Philosophie in Breslau. Ihre Leidenschaft gilt dabei der Philosophie. Deshalb wechselt sie nach Göttingen und Freiburg, um bei dem Philosophen Edmund Husserl zu studieren. Bei ihm promoviert sie 1916 mit Bestnote. Auch hier: Eine promovierte Frau, eine Wissenschaftlerin, ist Anfang des 20. Jahrhunderts alles andere als alltäglich. Mehrfach bemüht sie sich im Anschluss um eine Habilitation, um als Professorin arbeiten zu können. Doch eine Karriere in der Wissenschaft bleibt ihr als Frau verwehrt. Es wirkt wie ein wie ein Echo aus vergangenen Zeiten, wenn ihr Doktorvater Edmund Husserl über sie sagt:

„Sollte die akademische Laufbahn für Damen eröffnet werden, so könnte ich sie an allererster Stelle und aufs wärmste für die Zulassung zur Habilitation empfehlen.“

zitiert nach: Elisabeth Endres, Edith Stein. Christliche Philosophin und jüdische Märtyrerin, München 1987, S. 151.

Sie verlässt die Universität, wird aber weiterhin wissenschaftlich arbeiten. In diese Zeit zu Beginn der 1920er Jahre fällt auch ihr Übertritt zum Katholizismus. Die Autobiografie Teresas von Ávila, der Gründerin des Karmelitinnen-Ordens, spielt die zentrale Rolle für die Entscheidung der zuvor atheistischen Edith Stein, sich taufen zu lassen. Die genauen Umstände sind schwer nachzuvollziehen, umso mehr, weil es sich um einen sehr persönlichen und inneren Prozess handelt. Hinzu kommt, dass der Übertritt zum Katholizismus bei einer Heiligen wie Edith Stein schnell mystifiziert und in ein Gesamtnarrativ eingepasst wird. So oder so, die Taufe findet 1922 in Bergzabern in der Pfalz statt.

In den 1920er Jahren arbeitet Edith Stein in einer Schule und einem Lehrerinnenseminar der Dominikanerinnen in Speyer. Außerdem geht sie auf Vortragsreisen und spricht über philosophische und religiöse Themen sowie Frauenfragen.

Schwester Teresia Benedicta a Cruce

Nach dem Regierungsantritt der Nazis im Winter 1933 erlebt Edith Stein, wie sich das gesellschaftliche Klima ändert. Juden werden diskriminiert; auch sie selbst ist, obwohl konvertiert, davon beruflich betroffen. Edith Stein protestiert beim Papst in Rom gegen die Ausgrenzung der Juden, der nicht auf ihre Eingabe reagiert.

Im Frühjahr 1933 entscheidet sich Edith Stein, einen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen und ins Kloster zu gehen. Sie tritt im Herbst 1933 in den Karmel Maria vom Frieden in Köln ein. Dabei nimmt sie den Namen Schwester Teresia Benedicta a Cruce an, Schwester Teresia durch das Kreuz Gesegnete. Zwischen 1933 und 1938 lebt Edith Stein im Kölner Karmel an der Dürener Straße 89, wo heute ein Stolperstein an sie erinnert.

Stolperstein vor der Dürener Straße 89 in Lindenthal

In ihrer Zeit als Konventualin, als Mitglied der Ordensgemeinschaft, lebt sie gemäß der Ordensregeln: Schweigen, Beten, Phasen allein in der eigenen Zelle und Stunden in Gemeinschaft. Außerdem schreibt sie biographische und wissenschaftliche Texte. Sie lebt zurückgezogen, ihre öffentlichen Auftritte und Vorträge gehören der Vergangenheit an. Ihre Schwester Rosa folgt ihr 1936 nach Köln, lässt sich auch taufen und tritt in den Karmel ein. Vor dem Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind sind zwei Stolpersteine in den Boden eingelassen, um der Taufe Rosa Steins in der Kapelle des Krankenhauses zu gedenken.

Stolpersteine vor der Werthmannstraße 1 in Hohenlind

1938 wird die Luft in Nazideutschland für Edith Stein noch dünner. Im Zuge einer Abstimmung wird offenbar, dass sie, da in einer jüdischen Familie geboren, nicht wählen darf. Ob dies eine gezielte Indiskretion ihrer Priorin (Vorsteherin ihres Ordens) ist oder ob die Priorin nur ausspricht, was ohnehin bekannt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eben jene Priorin hilft Edith Stein, Ende 1938 zu fliehen. Sie geht in den Karmel ins niederländische Echt. Ein Stolperstein erinnert heute vor der Kirche Maria vom Frieden an das letzte Gebet Edith Steins vor ihrer Flucht.

Stolperstein Vor den Siebenburgen 6, Altstadt-Süd

Vor ihrer Flucht entsteht das bekannteste, fast ikonische Bild von ihr. Es ist ein Passbild und zeigt sie im strengen Habit einer Karmelitin.

Schwester Teresia Benedicta a Cruce ca. 1938/1939. Gemeinfrei

Rosa Stein gelingt nach Kriegsbeginn die Flucht aus Köln, sie kommt ebenfalls in das Kloster nach Echt. Für beide Schwestern bedeutet es auf Dauer keine Sicherheit. Die Nazis überfallen 1940 die Niederlande und besetzen das Land. Im August 1942 werden Edith und Rosa Stein von der Gestapo im Kloster verhaftet. Die Nazis deportieren sie nach Auschwitz und ermorden sie am 9. August 1942 in den Gaskammern.

Nachleben

Die Kölner Karmelitinnen beginnen bald nach Kriegsende, Material von und über Edith Stein zusammenzutragen. Es wird der Grundstock für das Edith Stein-Archiv, das heute im Karmel im Pantaleonsviertel angesiedelt ist. Ein Gutteil ihrer philosophischen Schriften wird erst nach 1945 veröffentlicht. Neben der wissenschaftlichen schreitet auch ihre religiöse Deutung voran. Papst Johannes Paul II. spricht sie im alten Müngersdorfer Stadion in Köln 1987 selig. Die Heiligsprechung folgt 1998 in Rom.

Heute gibt es unendlich viele Biographien Edith Steins und weitere Abhandlungen, die sich aus philosophischer, religiöser oder soziologischer Perspektive mit ihr befassen. Viele Städte haben Straßen und Schulen nach ihr benannt oder Denkmäler für sie errichtet. Neben den Stolpersteinen gibt es auf dem Börsenplatz in Köln ein Edith-Stein-Denkmal. Es wurde 1999, also nach der Heiligsprechung, errichtet und steht vor dem Priesterseminar.

Edith-Stein-Denkmal am Börsenplatz
Die drei Denkmalsfiguren

Das Denkmal zeigt drei Frauen aus drei verschiedenen Lebensphasen Steins. Rechts sitzend ist die junge Edith Stein, auf den Davidstern gestützt, der ihre jüdische Herkunft symbolisiert. Dahinter steht die Philosophin Edith Stein, die in der Mitte gespalten ist, um ihr Streben nach Wahrheit und die Sinnsuche zu verdeutlichen. Schließlich ist die letzte Frau die Nonne Schwester Teresia Benedicta a Cruce. Sie trägt ihr namensgebendes Kreuz und schreitet auf eine Rampe zu. Daneben sind Schuhe als Sinnbild für die viele Menschen, die wie Edith Stein den Gaskammern in Auschwitz gestorben sind.

Die Rampe mit Fußabdrücken und Häftlingsnummern

Ich habe bei meinen Recherchen über Edith Stein nicht nur Stolpersteine entdeckt und ein Denkmal, an dem ich vorher achtlos vorbeigeradelt bin, sondern auch eine extreme Frauenbiographie des 20. Jahrhunderts. Eine sehr kluge Frau, der der Weg zur Professur verwehrt bleibt. Eine Atheistin, die sich dem katholischen Glauben zuwendet. Eine Katholikin, die beim Papst gegen die Diskriminierung der Juden protestiert. Und schließlich eine Nonne, die ihren Tod als Willen Gottes akzeptiert und ihn „mit Freuden“ entgegennimmt. Diese Worte stammen aus ihrem Testament aus dem Jahr 1939. Edith Stein machte sich keine Illusionen über die Gefahr, in der sie schwebte, auch wenn sie den Nazis vorläufig entkommen war.

Ein Teil ihrer Biographie ist für mich schwer greifbar. Das betrifft ihre starke Hinwendung zur Religion und die spätere Entscheidung, Nonne zu werden. Dieser Abschied aus dem weltlichen Leben ist ein so großer Schritt von der vormals atheistischen Wissenschaftlerin. Zugleich ist sicher, dass sie diese Schritte aus eigenem Willen heraus tat. Wie sollen wir, mit 100 Jahren Abstand, darüber urteilen? So kann ich nur feststellen, dass mir dieser Teil ihres Lebens fremd erscheint, wie so viele andere Dinge, die Teil der Lebensrealität Edith Steins waren, es aber für mich heute nicht sind.

Es bleibt eine Tragik ihres Lebens, dass der Glaubensübertritt sie nicht vor den Nazis schützte. Eine weitere Tragik liegt darin, dass der Vatikan, der von ihr und vielen anderen Hinweise auf die Judenverfolgung bekommen hatte, nichts dagegen unternahm.

Zum Weiterhören und -lesen:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-edith-stein-philosophin-und-karmelitin-geburtstag–100.html
WDR-Zeitzeichen über Edith Stein. Detaillierte biographische Informationen, eine Freude zu hören (sagt der Zeitzeichen-Fan!).

Elisabeth Endres, Edith Stein. Christliche Philosophin und jüdische Märtyrerin, München 1987.
Ältere Biographie Edith Steins, mit erkennbarer (bisweilen übertriebener?) Sympathie für sie. Ausführliche Erläuterungen ihrer philosophischen und religiösen Werke.

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343415
Beschreibung des Edith-Stein-Denkmals am Börsenplatz mit biographischen Infos und Interpretation des Denkmals.

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