Heute sind die Fundstücke on tour: Unser Fundstück thront hoch über einem Fluss, allerdings nicht dem Rhein. Es hat mich nach Nordbaden verschlagen, nach Gernsbach am schönen Flüsschen Murg, etwa 40 km südlich von Karlsruhe. Hier habe ich ein Denkmal für die Gernsbacher entdeckt, die als Soldaten im Ersten Weltkrieg gestorben sind. Seit seiner Errichtung 1936 hat es eine beeindruckende Karriere hingelegt: von der NS-Weihestätte über abgeschlagene Hakenkreuze, hinzugefügte Denkmalteile und neue Namen bis hin zur historischen Einbettung. Ich lade euch ein zu einer Tour an die Murg!
Architektur im Dienste der Ideologie

Das Denkmal am Rumpelstein, so der offizielle Name, steht auf einer Anhöhe wenige hundert Meter von der Gernsbacher Altstadt entfernt. Es ist weithin sichtbar oberhalb der Murg, die auf dem Foto hinter dem Geländer fließt. Ein Weg schlängelt sich zum Denkmal hoch. Oben bietet sich folgender Anblick:

Das Denkmal ist 14 Meter hoch und neun Meter breit und von zwei Treppen linker- und rechterhand eingefasst. Es ist ein Rund, nach oben offen und besteht aus acht Spitzbögen. Oben mittig ist ein Reichsadler zu sehen. Seine Flügel haben etwas unter der Witterung gelitten und sind schwarz gefärbt. Im Zentrum des Bauwerks steht ein Altar, auf dem ein überdimensionaler Stahlhelm liegt. Der Lorbeerkranz um den Helm ist beschädigt, aber gut erkennbar.

Der Altar steht etwas erhöht und trägt die Inschrift
Den Heldentod im Weltkrieg
1914 – 1918
starben für ihr Vaterland
Auf den anderen drei Seiten des Kubus sind die Namen verstorbener Soldaten und ihrer militärischen Einheit aufgelistet. Weitere Namen finden sich auf Tafeln an den Innenseiten der Pfeiler. Oben läuft ein Spruchband mit einem Zitat aus der Edda, einer nordischen Sagensammlung. Es wird dem germanischen Hauptgott Odin zugeschrieben: „Ewig bleibt wir wissen es der Toten Taten Ruhm.“

Das monumentale Denkmal atmet den architektonischen Geist der NS-Zeit. Der Reichsadler, vormals mit Hakenkreuz versehen, ist dafür ein klares Zeichen. Die Spitzbögen erinnern an das Hochmittelalter und damit an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. In die Tradition dieses Ersten Reichs wollte sich das selbsternannte Dritte Reich stellen.
Außerdem verzichtet das Denkmal auf christliche Bezüge, wenngleich die meisten Toten und ihre Angehörigen wohl christlichen Glaubens waren. Der Altar wird zum Weihestein mit dem Stahlhelm, der soldatischen Pflicht, als höchstem Gut. Spannend ist, dass die Toten kein Geburts- und Sterbedatum haben. So verschmelzen sie zu einer Einheit. Es entsteht der Eindruck einer Gruppe, die für ein gemeinsames Ziel gekämpft hat – auch wenn die Soldaten an verschiedenen Fronten kämpften und sich im Zweifel nicht kannten. Alles, was von ihnen bleibt, ist ihr Name und ihre militärische Einheit.
Anstelle eines biblischen Zitats tritt der Odin-Ausspruch als Teil des Gefallenenkults. Der Bezug zur germanischen Mythologie ist typisch für den Nationalsozialismus. Zwar war die übergroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung christlich-praktizierend, dennoch gehörte zum NS-Programm ein Germanenkult, der religiöse Elemente beinhaltete. Er setzt sich im Denkmal insofern fort, als die gesamte Anlage als Thingstätte aufgebaut ist. „Thing“ war der historische Name germanischer Volksversammlungen. In Anlehnung daran befindet sich gegenüber des Denkmals eine Tribüne in Terrassenform mit Sitz- oder Stehplätzen. Hier sollten bis zu 1500 Personen Platz finden.

Der Bau des Denkmals
Gernsbach hatte 1933 trotz mehrerer Anläufe noch kein städtisches Denkmal für die umgekommenen Soldaten des Ersten Weltkriegs. Nach der Machtübernahme der Nazis fiel die Wahl auf den Rumpelstein als Denkmalort. Am 18. Oktober 1936 wurde das Denkmal eingeweiht. Das Datum ist kein Zufall, sondern bewusst auf den Jahrestag der Völkerschlacht 1813 belegt. Im Oktober 1813 hatte die Koalition aus Russland, England, Österreich und Preußen die napoleonischen Truppen bei Leipzig besiegt. In die Tradition der Befreiungskriege sollte sich das Denkmal einreihen.
Das Bauwerk ist sowohl performativ, was die Einweihung angeht, als auch architektonisch ein Abbild des Nationalsozialismus. Das gilt übriges auch in dem, was es nicht nennt. Die Namen zweier gestorbener jüdischer Soldaten aus Gernsbach tauchten auf den Tafeln nicht auf. Sie waren es in Nazi-Lesart nicht wert, dass man an sie erinnert. Die Soldaten hatten in der Regel keine Grabstätte in Gernsbach, sondern waren andernorts beerdigt. Indem man ihren Angehörigen einen Gedächtnisort verweigerte, wurden sie aus der lokalen Erinnerung getilgt.
Oberflächliche Entnazifizierung
Die klare Naziprägung des Denkmals wurde nach Kriegsende zum Problem. Die Hakenkreuze als deutlichstes Zeichen verschwanden 1945/1946 vom Denkmal. Wer sie entfernte, ist unklar – vielleicht städtische Bedienstete? Der Reichsadler und der Edda-Schriftzug blieben, wie auch die gesamte Formensprache des Bauwerks nicht hinterfragt wurde. Es erhielt 1953 sogar eine Erweiterung um die Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Eine Gernsbacher Künstlerin gestaltete ein Mosaik, das zwischen den Treppenaufgängen am Fuße des Denkmals eingelassen ist. Es trägt die Widmung
„Unseren Gefallenen 1939 – 1945 die dankbare Heimat“
Darunter sind über 300 Namen aufgezählt, sowohl umgekommener Soldaten als auch von elf zivilen Opfern. Das Mosaik nennt keine Geburts- oder Sterbedaten. Die Toten sind alphabetisch aufgeführt, ohne Unterscheidung zwischen Soldaten und zivilen Opfern. Das ist insofern bemerkenswert, als das Wort „gefallen“ eigentlich klar in Verbindung mit Soldaten steht. Die zivilen Opfer reihen sich gewissermaßen ein.
Mit dieser Veränderung wurde das Denkmal zu einem Ort für Angehörige, die in der Nachkriegszeit an die Verstorbenen erinnern wollten. Auch hier gilt, dass die Gräber der Soldaten in der Regel nicht in Gernsbach waren. Ihre Familien hatten nun einen Ort, an den sie gehen konnten, etwa am Geburtstag eines Toten oder zu Allerheiligen. Dadurch erhielt das Denkmal wiederum neue Legitimation. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erschöpfte sich im wahrsten Sinne des Wortes im oberflächlichen Abkratzen der Hakenkreuze.
Ein Gedenkort für die Vertriebenen
Die nächste große Veränderung der Anlage kam 1960. In diesem Jahr stellte „die Stadt Gernsbach ihren heimatvertriebenen Mitbürgern“ eine steinerne Gedenktafel auf. Sie befindet sich am oberen Ende der Tribüne der Thingstätte.

Die Tafel wird von 22 Wappen eingerahmt. Es sind sowohl Wappen heutiger ostdeutscher Bundesländer, wie Sachsen oder Brandenburg, als auch ehemaliger deutscher Gebiete. Unten links in der Ecke befindet sich zum Beispiel das Wappen Schlesiens mit dem Adler.
Mittig im Hintergrund sind stilisiert sind die Umrisse Deutschlands in wilden zeitlichen Variationen zu erkennen. Die Bundesrepublik und die DDR sind durch einen Schnitt getrennt (Stand 1960). Dafür hängen Schlesien, Pommern und Ostpreußen in den Grenzen von 1937 dran. Der polnische Korridor um Danzig wird ebenfalls kurzerhand zum deutschen Staatsgebiet. Das entspricht dem Stand von 1918. Im Vordergrund steht folgende Inschrift:
Heimat im Osten
Dich sucht unsere Seele
Tote der Heimat
Euch birgt unser Herz
Auffällig ist für mich vor allem die Gleichsetzung der DDR mit den vormals deutschen Gebieten wie Schlesien, die nun größtenteils zu Polen oder zur Tschechoslowakei gehörten. Das habe ich in der Form selten gesehen. Die Initiative für die Gedenktafel ging vom örtlichen Verband der Heimatvertriebenen aus. Vermutlich waren relativ viele Vertriebene in Gernsbach gelandet. Sonst wären sie zahlenmäßig kaum so ins Gewicht gefallen, dass die Stadt einen Gedenkort für sie eingerichtet hätte. Häufig hatte sich ihr Empfang in der unmittelbaren Nachkriegszeit eher negativ gestaltet. Angesichts dessen war die Tafel vielleicht auch eine Anerkennung oder eine Versöhnung von neuen und alten Gernsbachern.
Die schattenhaften Grenzen sind aus heutiger Perspektive irritierend, waren es in der Bundesrepublik der 1960er Jahren aber weniger. So warb die Westberliner CDU 1967 auf einem Plakat mit demselben Umriss Deutschlands. Einzig der Korridor um Danzig fehlt.

Neue Namen
Von Berlin zurück in den Schwarzwald. 1969 erhielt das Denkmal einen weiteren Zusatz. An der evangelischen Jakobskirche musste ein Denkmal für die Teilnehmer des deutsch-französischen Kriegs 1870/1871 einem Parkplatz weichen. Eine Tafel gelangte vom abgebrochenen Monument an den Rumpelstein. Sie wurde an der äußeren Mauer befestigt und erinnert dort nun an die „Tapfern Gernsbachs“ und namentlich an Theodor Zumbühl. Er starb im Dezember 1870.
Zumbühls Tod lag also fast 100 Jahre zurück. Vielleicht spricht aus der Integration in unser Fundstück auch eine gewisse Verlegenheit. Man wollte 1870/1871 nicht negieren, also wurde es in das große Kriegsdenkmal eingebaut. 1870/1871, 1914-1918, 1939-1945: Der Rumpelstein wurde immer mehr zu einem Sammel-Erinnerungsort für die vergangenen Kriege.

Die wirkliche große Veränderung kam 1985. Sie ist insofern besonders, als sie eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus voraussetzte. Außerdem fußte sie auf dem lokalen Wissen, dass auf den Pfeilern und am Kubus zwei Namen von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg fehlen. Es sind die jüdischen Männer, die die Nationalsozialisten bewusst ausgelassen hatten. 1985 ergänzte die Stadt Gernsbach Max Kohn und Albert Stern und ihre militärischen Einheiten auf zwei Tafeln.


70 Jahre nach ihrem Tod lebten wohl keine Angehörigen der beiden mehr, die ihrer am Rumpelstein gedenken wollten. Ihr Hinzufügen war insofern ein symbolischer Akt später Gerechtigkeit. Ihr besonderer Status drückt sich auch dadurch aus, dass die Schrift rot gehalten ist. Die Namen setzen sich so gegenüber den anderen ab und die Veränderung wird erkennbar.
Ein großes historisches Potpourri
Was für ein Geschichts-Potpourri in einem Denkmal! In der Anlage klar nationalsozialistisch geprägt, wurde es nach 1945 fünfmal baulich verändert. Vier Veränderungen zielten auf neue Gruppen ab, derer gedacht werden sollte: der Toten des Zweiten Weltkriegs, der Vertriebenen, des 1870 verstorbenen Gernsbachers und der beiden verschwiegenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg.
Mit jeder dieser Veränderung wurde das Denkmal neu legitimiert und als Erinnerungsort anerkannt. Dies geschah auf dem Grund eines NS-Bauwerks. Es fällt auf, dass die echten Opfer des NS-Regimes – Juden, Menschen mit Behinderung, Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende – keinen Platz am Rumpelstein gefunden haben. Ist es angesichts von Odin-Zitat und Gefallenenkult angemessen, hier an jüdische Soldaten zu erinnern?
Hatte Gernsbach diese Frage in den 1980er Jahren noch mit ja beantwortet, wurde Ambivalenz des Denkmals später stärker thematisiert. 2019 befasste sich der Gemeinderat mit der Frage, wie das Bauwerk historisch einzurahmen sei. Ein städtischer Aushandlungsprozess kam in Gang. Dieser Aushandlungsprozess ist sehr spannend und kann andere Städte inspirieren, wie sie mit schwierigen Denkmälern umgehen können. Deshalb heißt es: Fortsetzung folgt!
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