Als ich Ende Juli durch die Volksgartenstraße in der Südstadt geradelt bin, sah der begrünte Mittelstreifen anders aus als sonst. Zwischen der Lutherkirche und der Vorgebirgstraße waren die Bäume mit roten Wäscheleinen verbunden, an denen Zettel im Wind flatterten. An den Bäumen selbst waren größere Blätter mit Fotos und Texten angebracht.
Es handelte sich um eine Installation im Gedenken an den Transport DA 219. Er verließ am 20. Juli 1942, vor rund 82 Jahren, Köln-Deutz Richtung Minsk im heutigen Weißrussland (Belarus). Im Minsker Umland wurden die Insassen, über 1100 Menschen, von SS-Angehörigen erschossen oder vergast. Zu diesen Opfern der Shoa zählte Familie Klibansky: die Eltern Erich und Meta Klibansky mit ihren Söhnen Hans-Raffael, Alexander und Michael. An die Familie erinnern fünf Stolpersteine vor der Volksgartenstraße 10, wo sie mehrere Jahre wohnte.
Der Kinderretter von Köln
Erich Klibansky, geboren 1900 in Frankfurt, entstammte einer bildungsorientierten, jüdischen Familie. Nach seinem Studium und der Promotion wurde er Mitte der 1920er Jahre Lehrer in Breslau. Denselben Beruf übte seine Frau Meta, 1902 in Hamburg geboren, aus. Das Ehepaar Klibansky verstand sich als thoratreu, religiöse Rituale waren fester Bestandteil ihres Alltags.

Ihr erster Sohn Hans-Raffael kam 1928 noch in Breslau auf die Welt, seine Brüder Alexander (Jahrgang 1931) und Michael (1935) bereits in Köln. 1929 war die Familie in die Domstadt gezogen, wo Erich Klibansky Direktor des jüdischen Reformrealgymnasiums Jawne wurde. Ein Real- legte im Gegensatz zu einem humanistischen Gymnasium den Schwerpunkt auf moderne Sprachen und Naturwissenschaften. Die Jawne war damals das erste und einzige jüdische Gymnasium im Rheinland. Meta Klibansky war ebenfalls an der Schule tätig, sie unterrichtete Englisch.

Die englische Sprache sollte für die Jawne-Schüler noch wichtig werden. Erich Klibansky erkannte die Gefahr, die den jüdischen Schülern im nationalsozialistischen Deutschland drohte, und organisierte 1939 mehrere Kindertransporte nach Großbritannien. Sein eigentliches Ziel, die gesamte Schule umzusiedeln, war wegen des Kriegsbeginns nicht mehr umzusetzen.
Rund 130 Schüler konnten zwischen Januar und Juli 1939 ausreisen. Sie verließen Deutschland ohne ihre Eltern, die sie oftmals nie wieder sahen. Die Mädchen, Jungen und Jugendlichen gingen zumeist im Klassenverband nach England. Sie kamen, von Lehrern aus Köln begleitet, in den ersten Monaten gemeinsam in Herbergen unter. In einem WDR-Feature hebt einer der Geretteten hervor, wie sehr das die Ankunft gegenüber jenen Kindern vereinfachte, die direkt in Gastfamilien unterkamen.
Ausreise gescheitert
Die Bemühungen der Familie Klibansky, selbst zu emigrieren, scheiterten. Sie hatten bereits Teile ihres Hausrats verschickt, konnten das Land aber nicht mehr verlassen. Derweil wurde die Luft für Juden in Deutschland immer dünner. Die Jawne musste wie andere jüdische Schulen ihre Tore im Juli 1942 schließen.
Am 20. Juli bestiegen Klibanskys am Deutzer Bahnhof den Zug nach Minsk. Das letzte Lebenszeichen von ihnen ist eine Postkarte, die sie an eine befreundete Familie in Köln schrieben und aus dem Zug warfen. Sie ist auf den 21. Juli datiert. Am 24. Juli wurden Klibanskys im Wald bei Blagowschtschina erschossen.
Vielen Dank an die Nachbarschaftsinitiative Klibansky dafür, die Erinnerung wachzuhalten und ihr einen Raum im Straßenbild zu geben! Spuren von Erich Klibansky finden wir nicht nur in der Südstadt. Nach ihm ist auch ein Platz zwischen St.-Apern- und Helenenstraße benannt. Es ist der frühere Schulhof der Jawne.
Zum Weiterlesen und -schauen:
Die Jawne ist heute ein Lern- und Gedenkort, wo man sich über jüdisches Leben in Köln, die frühere Schule und Kindertransporte informieren kann.
Immer wieder schlimm solche Schicksale. Ist sehr gut geschrieben. Liebe GrüÃe Annegret
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