Beim Schreiben des letzten Blogbeitrags hat mich die Frage beschäftigt, wessen Geschichte ich hier erzähle: Ist es die von Benedikt Schmittmann, Professor an der Uni Köln, den die Nazis ermordeten? Ist es die von Helene Schmittmann, die nach dem Tod ihres Mannes das Wohnheim am Sachsenring aufbaute? Oder ist es eine Geschichte des Ehepaars Schmittmann zusammen?
Hinter der Unsicherheit verbirgt sich die Frage nach handelnden Personen, nach Agenda und nach Quellenlage. Sie berührt ein veritables Problem der Geschichtswissenschaft, weil ausgehend von der Überlieferung bestimmte Akteure in den Vordergrund treten, während andere unsichtbar bleiben. Das ist zum Beispiel bei Kolonialarchiven ein Problem. Sie bilden in der Regel den Blick der Kolonisatoren ab, lassen aber selten Kolonisierte für sich zu Wort kommen.
Während Benedikt Schmittmann Spuren in Gestalt von Büchern, in Archiven, in Denkmälern und in Stolpersteinen hinterlassen hat, scheint Helene Schmittmann weniger greifbar. Deshalb hier der Versuch, ihre Geschichte zu schreiben.
Tochter aus gutem Hause
Helene Schmittmann, genannt Ella, wurde 1880 geboren. Sie stammte aus der sehr wohlhabenden Kölner Industriellenfamilie Wahlen, ihr Großvater galt als Begründer des Stadtteils Ehrenfeld. Die Wahlens gehörten zur Kölner High Society. Helene Wahlen war eine Cousine von Konrad Adenauers erster Frau Emma Weyer, die diesem wiederum den Aufstieg in die Stadtelite ermöglichte.
Das Umfeld, in dem Helene Wahlen aufwuchs, war katholisch geprägt und finanziell sehr gut ausgestattet. Sie genoss mit dem Besuch einer privaten höheren Töchterschule eine umfassende Bildung für Mädchen zur damaligen Zeit. Die Kölnerin legte sogar, wahrlich eine Besonderheit, während ihrer Schulzeit zwei Auslandsaufenthalte in den Niederlanden und in Großbritannien ein.

1901, mit 21 Jahren, verlobte sie sich mit Benedikt Schmittmann. Zwei Jahre später folgte die Hochzeit. Es war in dem Sinne eine standesgemäße Verbindung, als auch die Schmittmanns eine vermögende großbürgerliche Familie waren, wenn auch aus der Nachbarstadt Düsseldorf.
Im Dienst ihres Mannes
Während der über 35 Ehejahre verstand sich Helene Schmittmann als
Hüterin des Hauses und Mitarbeiterin am Schreibtisch ihres Mannes.
Zitiert nach: Alfred Kuhlmann: Helene Schmittmann. Mit Glaube und Liebe für eine bessere Welt. Köln 2003, S. 14.

Dieser Anspruch macht es schwer, sie als Individuum in der gemeinsamen Zeit herauszuschälen. Sie unterstützte ihren Mann, sei es in dessen Rolle als Professor an der Uni Köln oder bei seinem politischen Engagement in der Weimarer Republik. Ihr Zurücktreten hinter ihren Mann spiegelt das bürgerliche Rollenverständnis der Zeit wider.
Es ist, als sei ihre Person ganz in den Dienst des Mannes einbezogen.
Ebd., S 15.
Profil in schweren Zeiten
1933 zogen mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten dunkle Wolken für das Ehepaar auf. Beide wurden im Frühjahr verhaftet, Helene Schmittmann aber noch am selben Abend freigelassen. Durch die Gefangenschaft ihres Mannes trat sie stärker als eigenständige Akteurin auf und bemühte sich bei verschiedenen Stellen um seine Freilassung. Verhandlungen mit der Gestapo, Bittgänge bei einem Reichstagsabgeordneten und beim Regierungspräsidenten – das erforderte Mut und Zähigkeit.
Mit Kriegsbeginn Anfang September 1939 wurde Benedikt Schmittmann ins Konzentrationslager verschleppt. Auch jetzt bemühte sich die Kölnerin wieder um die Freilassung ihres Mannes. Diesmal erfolglos: Er starb nach wenigen Tagen an den Folgen der körperlichen Misshandlungen im KZ Sachsenhausen.
Daraufhin fuhr Helene Schmittmann Mitte September 1939 nach Oranienburg und sprach beim Lagerkommandanten vor. Tatsächlich konnte sie sich von ihrem verstorbenen Mann verabschieden und seine Leiche nach Düsseldorf überführen. Das war ein völlig ungewöhnlicher Vorgang, von der persönlichen Vorsprache bis hin zum Überführen des Leichnams ins Rheinland. Er sollte, so ihr Wunsch, in Düsseldorf beerdigt werden.
Die außergewöhnliche Behandlung hing sicher mit Helene Schmittmanns hohem sozialen Status und ihrem Netzwerk zusammen. Dennoch erforderte es auch hier viel Mut, sich ins KZ vorzuwagen und auf die Überführung zu drängen. Nach der Beerdigung ihres Mannes verhinderte die Gestapo den Abdruck von Todesanzeigen in regionalen Zeitungen in Düsseldorf und Köln.
Bestens vernetzt im Nachkriegsköln
Die letzten Kriegsmonate verbrachte Helene Schmittmann in Bad Honnef, kehrte aber bald nach Kriegsende nach Köln zurück. Sie knüpfte in den Folgejahren an alte Kontakte an und begann, sich zu politisch zu engagieren. So setzte sich die Kölnerin für eine föderale Ordnung Deutschlands, die deutsch-französische Aussöhnung und die europäische Einung ein.
Diese Ziele knüpften an das Wirken ihres Mannes in den 1920er Jahren an, nun setzte sie das Engagement fort. Schmittmann zählte zu den Gründungsmitgliedern der Kölner Europa-Union und anderer Initiativen. Außerdem war die Witwe weiterhin in engem Kontakt mit Konrad Adenauer, der 1949 erster Kanzler der Bundesrepublik wurde.

Schmittmann war zudem weiterhin – oder vielleicht wieder – gut mit der Kölner High Society vernetzt. Die Gästeliste für ihren 75. Geburtstag im Jahr 1955 umfasste neben Adenauer auch Kardinal Frings, den Oberbürgermeister sowie den Regierungspräsidenten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das Studentenwohnheim Schmittmann-Haus bereits gegründet. Seit 1953 prägte sie das Haus, wählte Bewohner aus und war Ansprechpartnerin für sie. Mit dem Wohnheim verwirklichte die Kölnerin einen Wunsch ihres Mannes aus seinem Testament. Dennoch war sie diejenige, die dem Projekt Leben einhauchte und es praktisch ausgestaltete.

1968 gründete die bereits 88-Jährige die Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung. Sie verfolgt das Ziel, das Wohnheim zu unterstützen und Stipendien an notleidende Studierende zu vergeben. Ihr Vermögen und das ihres verstorbenen Mannes gingen in der Stiftung auf. Helene Schmittmann starb 1970 im hohen Alter von 90 Jahren.
Spuren
Nach 1945 entwickelte Helene Schmittmann eine rege politische und gesellschaftliche Aktivität. Sie war gut vernetzt und präsent in Köln. Es entsprach ihrem Selbstverständnis als (Ehe-) Frau, dass sie erst als Witwe als eigenständige Person auftrat. Dabei berief sie sich zwar auf das Erbe ihres Mannes, hatte aber zugleich eine eigene Agenda.
Das Wohnheim am Sachsenring in der Südstadt ist eine sehr deutliche Spur Helene Schmittmanns im Stadtbild. Eine weitere Spur ist die Stiftung, in der sie spannenderweise auch ihren Mädchennamen verewigt hat: die Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung. Die Beweggründe für die Entscheidung sind unklar. Vielleicht wollte sie damit ihren klangvollen Kölner Familiennamen unterbringen.
Stichwort Wahlen: In Ehrenfeld gibt es eine Wahlenstraße. Sie quert die Venloer Straße neben der Josephskirche, gegenüber vom Neptunbad. Die Benennung erinnert wohl an den Begründer des Veedels. Dies ist zwar keine direkte Spur Helene Schmittmanns, verweist aber auf ihren familiären Hintergrund in der städtischen Elite und spannt einen Bogen von Ehrenfeld bis in die Südstadt.