Der Napoleonstein, Teil 2

Unser kleines Fundstück auf dem Melaten-Friedhof ist nun ausführlich von allen Seiten bestaunt und beschnuppert. Und was sagt uns das Ganze? Nach dem napoleonischsten aller Cliffhanger in Teil 1 kommen hier ein paar Gedanken zum Hintergrund: Wie kommt der Napoleonstein auf den Melaten-Friedhof?

Kölner in Napoleons Armeen, Veteranen in Preußen

Das Denkmal verweist auf „Napoleons Armeen“ in der Mehrzahl und damit auf die verschiedenen Feldzüge, an denen Kölner Soldaten teilnahmen. Das Datum der Denkmalweihe, der 6. Juli 1853, ist nicht zufällig gewählt. Am 6. Juli jährt sich die Schlacht von Wagram, bei der die französische Armee (unter Beteiligung von Kölner Soldaten?) die österreichischen Truppen 1809 besiegte. Bei der Formulierung „fern von ihrer Heimath gefallenen“ mögen die Stifter vor allem den Russlandfeldzug von 1812 im Sinn gehabt haben. 1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt, die letzte Schlacht Napoleons vor seiner ersten Verbannung nach Elba. Auch in Leipzig kämpften die Kölner auf der Seite Frankreichs. Wir wissen nicht, wie viele Soldaten aus Köln insgesamt „fern von ihrer Heimath“ im Dienst der Grande Armée gestorben sind. Mit Sicherheit können wir von mehreren Hundert, vielleicht sogar Tausenden ausgehen. Von einem Kontingent aus dem Großherzogtum Berg, einem rechtsrheinischen Verbündeten Frankreichs, überlebten nur 300 der 5 000 Soldaten den Russlandfeldzug.

Mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen, genauer gesagt 1853, stifteten die Veteranen den Napoleonstein auf dem Melaten-Friedhof. 1853 war Köln allerdings Teil der preußischen Rheinprovinz. Der Napoleonstein erinnerte folglich an die Soldaten, die für die falsche Sache, nämlich als Gegner Preußens, gestorben waren. Damit waren die Kölner freilich nicht allein. In den linksrheinischen Gebieten hatten sich ab den 1830er Jahren allerorten Veteranen aus der Grande Armée in Vereinen zusammengefunden. Spuren ihres Treibens finden wir in Gestalt von mindestens 25 Napoleonsteinen, u.a. in Worms, Mainz, Bingen, Koblenz und Köln. Das älteste Denkmal befindet sich auf dem Mainzer Hauptfriedhof, es wurde 1834 geweiht. Die Kölner waren mit ihrem Napoleonstein von 1853 eher spät dran.

Viele Denkmäler ähneln einander in der Gestaltung. Alle führen die Stifter namentlich auf, einige geben weitere Informationen wie Geburts- und Sterbejahr an. Manche, etwa der Mainzer und der Kölner Napoleonstein, nennen die Dienstgrade in französischer Sprache, manche in deutscher Sprache. Den antik anmutenden Helm, wahlweise mit darunter drapiertem Mantel und Schwert finden wir u.a. in Frankenthal, Worms, Mainz, Mainz-Hechtsheim, Mainz-Kastel und Koblenz. Anhand der sehr großen Ähnlichkeiten in der Gestaltung können wir davon ausgehen, dass sich die Veteranenvereine untereinander austauschten.

Für die Frage, wie man an Soldaten erinnert, die für die falsche Sache gestorben sind, lohnt sich ein Blick nach Koblenz. Der dortige Napoleonstein wurde 1843 auf dem Hauptfriedhof geweiht, als Koblenz, ebenso wie Köln, zu Preußen gehörte. Auf seiner Vorderseite ist zu lesen

„Von den vormaligen noch übrigen Soldaten Napoléon’s welche in ihr Vaterland zurückgekehrt zu Coblenz als friedfertige und ihrem ietzigen Fürsten treu ergebene Bürger gestorben sind und hier ruhen, errichtet am 5ten Mai 1843, dem Todestag des Kaisers (5ten Mai 1821).“

Hier verbindet sich Napoleonverehrung – der genannte Kaiser ist natürlich Napoleon – mit einem Treueschwur gegenüber dem jetzigen Herrscher. Das Denkmal auf dem Melaten-Friedhof ist zurückhaltender, sowohl was Napoleon als auch was Preußen betraf. Trotzdem ist klar, dass dieses Gedenken politisch war. Vielleicht entpolitisierten die Kölner ihr Denkmal, indem sie das Gedenken lokal verwurzelten, durch die Begriffe „fern der Heimath“, „Cölner Krieger“ und „heimgekehrten“. Vielleicht war zu viel Demut gegenüber Preußen 1853 auch nicht mehr nötig, weil die Herrschaft Preußens im Rheinland stabil war.

Jenseits aller Franzosenzeitfolklore ist der Napoleonstein für mich eine besondere Spur der französischen Besetzung Kölns. Er erinnert erstens an die enormen Todesopfer der Feldzüge quer durch Europa. Die Männer starben zu Hunderttausenden auf den Schlachtfeldern Napoleons. Dadurch, dass die Kriege lang zurückliegen, sind uns diese Toten wenig präsent. An eine kleine Gruppe unter ihnen erinnert, wenn auch anonym, der Gedenkstein.

Zweitens sind die Stifter spannend. Welchen Teil ihrer Identität machte die Selbstbeschreibung als Veteran der Grande Armée aus? Traten sie aus tiefempfundener Pflicht oder aus Geselligkeitsgründen dem Veteranenverein bei – oder wurden sie einfach von Bekannten mitgeschleppt? Welchen Stellenwert nahm das Miteinander mit anderen Veteranen und das Erinnern an die verstorbenen Kameraden für sie individuell ein? Das wird wohl im Dunkeln bleiben. Viele der Veteranen haben keine anderen Spuren hinterlassen als den Napoleonstein, sodass dieses Denkmal uns einen winzigen Einblick in ihr Leben gibt.

Drittens sind Veteranendenkmäler aus den napoleonischen Kriegen ein größeres linksrheinisches Phänomen. Das Fundstück auf dem Melaten-Friedhof ist kein Sonderfall, sondern Teil einer regionalen Struktur entlang des Rheins. So sehr sich die Denkmäler ähneln, so viele lokale Eigenheiten finden wir bei jedem. In dem Sinne schließe ich mit einem Hoch auf die Lokalgeschichte und ziehe meinen Hut, wenn du bis zum Ende mitgelesen hast!

Props gehen an:

https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/koelner-universitaetsmagazin/unimag-einzelansicht/napoleon-am-rhein
Allgemeine Infos zur napoleonischen Besatzung Kölns. Das Veteranendenkmal auf dem Melaten-Friedhof taucht auch kurz auf.

https://www.napoleonischekriege.uni-mainz.de/die-napoleonsteine-in-rheinhessen/#_ftn6
Abgeschlossenes Projekt der Uni Mainz zu Napoleonsteinen in Rheinhessen, vor allem in Mainz. Ausführliche Infos zum Hintergrund des Mainzer Denkmals, inklusive Fotos. Lohnt sich schon allein für den extrem wehrhaften Zaun um das Mainzer Denkmal!

http://www.ingelheimer-geschichte.de/index.php?id=273
Sehr umfangreiche Recherche des Ingelheimer Historischen Vereins über Napoleonsteine in Rheinhessen, inklusive schöner Fotos. Beachte insbesondere das Veteranendenkmal in Großwinternheim (lokale Eigenheiten!)

https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-95477-20140627-6#
Beschreibung des denkmalgeschützten Hauptfriedhofs Koblenz. Hier gibt es auch ein Bild des dortigen Napoleonsteines mit dem obligatorischen Helm obendrauf.

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