Versetzen wir uns an das Ende des 19. Jahrhunderts. Wären wir um 1897 über den damals deutlich kleineren Melaten-Friedhof spaziert, hätte sich uns das Ehrenmal folgendermaßen präsentiert:

Der Anblick im Jahr 2022 ist nicht nur wegen der kahlen Bäume etwas trister:

Stand das Denkmal 1897 noch auf einem richtigen Steinpodest, so ist dieses heute weitgehend von matschigem Grün bedeckt. Was ist mit der großen Figur passiert, die früher auf dem Denkmal thronte? Und woher kommt eigentlich das bronzene Sturmgepäck mit Tafel, das heute vor dem Denkmal steht? In diesem Beitrag schauen wir uns an, wie ein Denkmal entsteht, sich verändert und neu zusammengesetzt wird – und wie sich darin Stadt- und Landesgeschichte spiegelt.
Gefeiert und zerstört
Knapp 250 deutsche Soldaten starben während des deutsch-französischen Krieges 1870/1871 in Kölner Lazaretten. Sie fanden auf einem Gräberfeld auf dem Melaten-Friedhof ihre letzte Ruhe. Ihnen zu Ehren sollte, so der Stadtrat, ein Denkmal auf dem Melaten-Friedhof errichtet werden.
Im Januar 1874 diskutierten die Herren Stadtverordneten den Entwurf, der uns weitgehend bekannt vorkommt: ein kreuzförmiges Denkmal mit mittigem Sockel, auf dem eine Germaniafigur steht. Die Diskussion drehte sich vor allem um das Material (Belgischer Granit wird grau, wenn man ihn nicht regelmäßig mit Leinöl behandelt!), das Größenverhältnis zwischen Statue und Unterbau (Denkmal mit figuraler Krönung oder Figur mit Unterbau?) sowie die Frage, ob die Verstorbenen namentlich aufgeführt werden sollten (was der Oberbürgermeister bejahte, schließlich handele es sich auch ein Grab). Wer Deutschtümelei oder nationalen Taumel erwartet hat, den belehrt das Ratsprotokoll eines Besseren. Sieg über den Erbfeind hin oder her, hier ging es um die Mühen der Ebene.

Nach überraschend wenig begeisterter Diskussion entschied der Stadtrat mehrheitlich, den Entwurf anzunehmen. Er gab den Bau des Denkmals in Auftrag. Die Germania mit Krone und Schild, die wir heute nicht sehr sehen, schaute westwärts, in Richtung des Friedhofwegs. Das Denkmal wurde am 2. September 1875, dem Sedantag, feierlich eingeweiht. In den Folgejahren war das Ehrenmal Ziel von patriotischen Umzügen und Gedenkveranstaltungen für die gestorbenen Soldaten. Der Sedantag war im Kaiserreich zwar kein offizieller Feiertag, bot aber Gelegenheit für Umzüge, feierliche Reden, Sportspiele, Bälle – und Denkmaleinweihungen.
Von diesem feierlichen Ambiente bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist es ein weiter Weg. 1945 lagen große Teile Kölns in Trümmern. Auch der Melaten-Friedhof hatte Verwüstungen durch Bomben erlitten. Während manche Gräber komplett zerstört wurden, war das Ehrenmal zwar beschädigt, schien insgesamt aber relativ glimpflich davonzukommen. Allerdings verschwand die Germaniafigur in den frühen Nachkriegsjahren auf mysteriöse Art und Weise. Manche vermuten, dass die beschädigte Figur abgenommen wurde und dann verloren ging. Im Historischen Archiv verweist eine Signatur auf die zertrümmerte Germaniafigur auf dem Friedhof Melaten. Die Akte konnte ich leider nicht einsehen, weil sie erst noch restauriert werden muss. Das Schicksal der Germania bleibt also offen, sie residiert in jedem Fall nicht mehr auf dem Ehrenmal. Dafür erweiterte sich unser Fundstück ebenfalls nach 1945 um das bronzene Sturmgepäck.

Von Mülheim am Rhein zu Köln-Mülheim
Schauen wir uns diesen Teil des Fundstücks etwas genauer an. Wir sehen eine Tafel mit der Aufschrift
„Den Söhnen unserer Stadt, die in den Kriegsjahren 1866, 70-71 den Heldentod starben“
Es folgen je sieben Namen für den Krieg 1866 gegen Österreich und 1870/1871 gegen Frankreich. Die Tafel wird halbseitig von einem gebundenen Eichenkranz als Zeichen militärischer Ehrung bedeckt. Auf bzw. hinter der Tafel befindet sich das Sturm- oder Marschgepäck eines Soldaten mit Zeltstangen, Stoff und obenauf einer Pickelhaube, die ihren Pickel verloren hat.
Die Tafel stammt aus Mülheim. Sie war Teil eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals, das 1898 eingeweiht wurde. Es bestand aus einem Reiter, Wilhelm I. hoch zu Ross, und der davorstehenden Tafel. Mülheim war 1898 noch eine eigenständige Stadt, es wurde erst 1914 Teil von Köln. 1943 wurde das Reiterdenkmal eingeschmolzen, vermutlich um das Metall für die Kriegsproduktion zu verwenden. Die Tafel blieb (absichtlich oder zufällig?) erhalten und fand ihren Weg auf den Melaten-Friedhof.
Die Toten, der die Tafel gedenkt, sind somit keine Kölner, sondern Mülheimer. Das Denkmal-Kuddelmuddel wird komplett, wenn man bedenkt, dass ein paar Meter weiter auf dem Melaten-Friedhof ein separates Denkmal für die (Kölner) Toten des Krieges von 1866 steht.
Zurück in die Nachkriegszeit: Die Germania war weg, die Mülheimer Tafel hat ihren Platz gefunden. In den 1950er Jahren wurde dennoch über den Abriss des Denkmals diskutiert. Die entsprechenden Akten im Stadtarchiv sind leider auch noch nicht restauriert, sodass ich nur vermuten kann, welche Argumente für oder gegen den Abriss im Raum standen. Naheliegend ist, dass Kriegsdenkmäler kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht sehr en vogue waren, gerade wenn sie das preußische Militär ehrten. Angesichts von Millionen Toten, die die Wehrmacht über Europa gebracht hatte, entsprachen Heldentod-Tafeln nicht der Zeit. Klar ist, dass der Stadtrat im September 1955 entschied, 40 000 DM für die Renovierung der Ehrenmale von 1866 und 1870/1871 auf dem Melaten-Friedhof bereitzustellen. Das war das vorläufige Ende der Debatte.
Vom Werden und Vergehen von Denkmälern
Das Ehrenmal, wie wir es heute auf dem Friedhof sehen, entspricht in mehrerlei Hinsicht nicht mehr dem Denkmal von 1875. Es hat einen Bestandteil, die Germania, verloren und wurde neu arrangiert, indem die Mülheimer Tafel hinzukam. Während das Ehrenmal im Kaiserreich Schauplatz militärischer Umzüge und Gedenkveranstaltungen für die Toten war, ist das heute nicht mehr denkbar. Das Verschwinden der Germania nach 1945 ist in diesem Sinne fast sinnbildlich. Das Denkmal verliert die Nationalfigur, so wie die Bundesrepublik nach dem Nationalsozialismus dem Militarismus und Nationalismus abschwören muss. Es ist also fast passend, dass die Mülheimer Tafel nicht passt. Tatsächlich war der Krieg von 1870/1871 nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs soweit weg, dass sich nicht mehr allzu viele um diese Toten kümmerten. Und vielleicht blieben auch einige unbehagliche Fragen, wie genau der preußische Militärfimmel und der Nationalsozialismus zusammenhingen.
Heute scheint die Stadt Köln eine Doppelstrategie zu fahren. Einerseits legt sie getreulich zu Allerheiligen und zum Advent ein offizielles Gesteck der Stadt vor dem Ehrenmal nieder. Andererseits verkommt die Substanz und das Denkmal geht Stück für Stück kaputt.

Nun steht das Ehrenmal nicht für den einfachsten Teil des preußischen Erbes, weshalb es auf der Müssen-wir-bald-mal-reparieren-Hitliste sicher nicht ganz oben auftaucht (looking at you, Dom!). Nichtsdestotrotz ist es eben auch ein Grab für 247 Männer. Und gerade der Verlust eines Denkmalteils und die Neuzusammensetzung führen die Wirren des 20. Jahrhunderts sehr eindrücklich vor Augen. Deshalb, liebe Stadt Köln, wie wär’s mit einem Metadenkmal? Ein Denkmal für ein Denkmal oder zumindest eine Erklärung, was die neugierige Spaziergängerin eigentlich vor sich hat? Ich bin dafür!
Zum Nach- und Weiterlesen:
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/das-reich/krieg1870/
Der deutsch-französische Krieg kurz und knapp im Überblick beim LeMO (Lebendigen Museum Online).
https://www.deutschlandfunk.de/deutsch-franzoesischer-krieg-von-1870-71-verdraengter-sieg-100.html
Spannender Beitrag im Deutschlandfunk über die Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg dies- und jenseits der Grenze. Lohnt sich sehr!
https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-262025
Das Ehrenmal hat einen Eintrag in der Datenbank des Landschaftsverbands Rheinland zum Kulturellen Erbe. Guter Überblick und schöne Fotos.
Iris Brenner, Kölner Denkmäler 1871–1918. Aspekte bürgerlicher Kultur zwischen Kunst und Politik, Köln 2003.
Sehr umfangreiches Buch zum Denkmalbauboom im wilhelminischen Köln. Hier taucht das eingeschmolzene Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus Mülheim auf.
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