Das richtige Gedenken

Mein Blogbeitrag über den Napoleonstein auf dem Melaten-Friedhof drehte sich um das Gedenken an Soldaten, die für die „falsche“ Seite gestorben sind. Im Kontext des Napoleonsteins waren dies Kölner Soldaten, die während der napoleonischen Kriege auf Seiten Frankreichs gekämpft hatten. Das Denkmal selbst stammt aus den 1850er Jahren, als Köln längst Teil Preußens war. Im Elsass, wo ich unterwegs war, stellt sich die Frage, wie man der Soldaten gedenkt, die für die „falsche“ Sache gestorben sind, noch viel mehr. Heute sind die Fundstücke also auf Tour!

Zwischen zwei Staaten

Das Elsass war im 19. und 20. Jahrhundert Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich. Die Region wechselte mehrfach zwischen beiden Ländern hin und her. Nach dem deutsch-französischen Krieg annektierte das Deutsche Reich 1871 das Elsass, das bis 1919 deutsch blieb. Im Ersten Weltkrieg kämpften elsässische Soldaten für das Kaiserreich. Infolge der deutschen Niederlage wurde die Region 1919 wieder französisch – 1940 nach dem deutschen Überfall auf die Nachbarländer erneut Teil des Deutschen Reiches. Die Wehrmacht zog in den Folgejahren auch Elsässer als Soldaten ein. Im Französischen gibt es einen speziellen Ausdruck für diese Zwangsrekutierten: die „malgré-nous“ (wider unseren Willen). Seit 1945 gehört das Elsass zu Frankreich.

In folgendem Zeitraumgehörte das Elsass zu
1871-1919Deutsches Reich
1919-1940Frankreich
1940-1945Deutsches Reich
seit 1945Frankreich

Jenseits politischer Grenzen ist das Elsass ein klassisches Grenzgebiet, wo Sprachen ineinander übergehen. Die historischen Ortsnamen sind deutsch geprägt, der elsässische Dialekt ist eine alemannische Mundart. Er spielt gegenüber der dominierenden französischen Sprache im Alltag allerdings heute keine große Rolle mehr.

Aus dem Raster

In Frankreich gibt es, wie auch in Deutschland, vielerorts Denkmäler für die gestorbenen Soldaten der beiden Weltkriege. Im Unterschied zum Kölner Napoleonstein, der auf eine private Initiative zurückgeht, handelt es sich hier im kommunales Gedenken von Gemeinden. Das macht es politischer. Die Soldatendenkmäler landauf, landab ähneln einander in der Gestaltung und in den Formulierungen:

„La patrie reconnaissante“ (Das dankbare Vaterland)

„Morts pour la France“ (Für Frankreich gestorben)

„Morts sur les champs d’honneur“ (Auf dem Feld der Ehre gestorben)

Diese Wendungen passten nicht im Elsass, da die elsässischen Soldaten im Ersten und teilweise im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Flagge gekämpft hatten. Gleichwohl wollten die Kommunen vor Ort ihrer Toten auf den Schlachtfeldern gedenken. Wie setzten sie also das Gedenken für die Toten der „falschen“ Seite um?

Das Gesagte und das Ungesagte

Monswiller
Dossenheim-sur-Zinsel

Die Fotos zeigen zwei Kriegerdenkmäler aus dem elsässischen Monswiller und Dossenheim-sur-Zinsel. Beide Orte liegen wenige Kilometer voneinander entfernt, etwa 40 Minuten nordwestlich von Strasbourg. Auf den ersten Blick auffällig ist der für die Region typische rote Sandstein, aus dem beide Denkmäler bestehen. Schauen wir uns die Formulierungen genauer an:

Monswiller
Dossenheim-sur-Zinsel

In Monswiller lautet die Inschrift recht ausführlich: „La commune de Monwiller à ses enfants morts sur les champs de bataille“ (Die Gemeinde Monswiller ihren Kindern, die auf den Schlachtfeldern starben). In Dossenheim erinnert sie schlicht „A nos morts“ (Unseren Toten).

Beide Formulierungen sind neutral gehalten und vermeiden die Begriffe „Vaterland“ oder „Feld der Ehre“. Auch entfällt die Länderzuordnung. Die Denkmäler verraten nicht, für wen die Soldaten starben – und verraten es genau deshalb. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der Trauer über die Toten aus dem jeweiligen Ort. In Monswiller wird die Verbindung über die Personifizierung ausgedrückt: die Gestorbenen als Kinder Monswillers. In Dossenheim drücken „unsere Toten“ die Zugehörigkeit zur Gemeinde aus. Auf diese Weise beantworten beide Denkmäler die eingangs gestellte Frage, wem die Toten gehören: den jeweiligen Gemeinden. Ein wie auch immer geartetes Vaterland kann es angesichts wechselnder Zugehörigkeiten nicht sein.

Auch bildlich entfallen Landessymbole, ein RF für „République française“ sucht man vergeblich. Es dominieren universale Symbole der Ehrbekundung und Trauer. So trägt der antik anmutende Engel in Monswiller einen Ehrenkranz und in Dossenheim schwebt über der Frau ein Eichenbaum als Zeichen der Ewigkeit.

Unseren Toten

Während das Denkmal in Monswiller lediglich der Toten des Ersten Weltkrieges gedenkt, zählt sein Dossenheimer Pendant auf zwei Seiten die Verstorbenen des Ersten, Zweiten sowie des Algerienkrieges auf. Er dauerte von 1954 bis 1962, als sich die vormalige nordafrikanische Kolonie Algerien ihre Unabhängigkeit von Frankreich erkämpfte.

Dossenheim: 1914-1918
Dossenheim: 1939/1940-1945, 1954-1962

Neben den militärischen Opfer dreier Kriege unter verschiedenen Flaggen nennt das Denkmal auch die „victimes civiles de guerre 1939-1945“, also zivile Opfer des Zweiten Weltkriegs. Der Zornhoff, der namentlich erwähnt wird, war eine örtliche Werkzeugfabrik. Sie wurde gegen Kriegsende von amerikanischen Bomben getroffen. Vermutlich starben die genannten Personen infolge des Angriffs.

Soldaten an der Front, Zivilisten in der Heimat, zwei Welt- und ein Dekolonisierungskrieg – es steckt viel drin in diesem unscheinbaren Denkmal. Spannend ist auch, was möglicherweise nicht drin steckt. Gab es jüdische Bewohner in Dossenheim? Wenn ja, haben sie die deutsche Besetzung des Elsass zwischen 1940 und 1945 überlebt? So sie im Zweiten Weltkrieg starben, haben sie keinen Platz auf dem Denkmal gefunden.

1 Kommentar

  1. annegretstein sagt:

    Liebe Luise,habe ich gelesen und finde es sehr interessant. Die wechselnde Zugehörigkeit des Elsass hatte ja weitreichende Folgen, Wahnsinn. Liebe Grüße Annegret 

    Like

Kommentar verfassen