Was tun, wenn’s brennt?

Für meinen letzten Blogpost habe ich den Blick in die Höhe gerichtet, um den Kirchturm von St. Stephan in den Blick zu nehmen. Heute schaue ich vor dem Philosophikum der Uni Köln an der Universitätsstraße zu Boden. Mitten auf dem Radweg ist eine gusseiserne, schwere Platte mit der Aufschrift Feuertelegraph zu sehen.

Feuertelegraph, im Hintergrund das Philosophikum
Feuertelegraph vor dem Philosophikum

Der Schriftzug „Gebr. Odenthal Köln-E.“ verrät den Hersteller: die Eisen- und Metallgießerei Gebrüder Odenthal aus Ehrenfeld. Sie stellte Kanaldeckel her; ihr Schriftzug ziert noch heute diverse Kölner Kanaldeckel, auch wenn die Firma längst nicht mehr existiert.

In den Boden versenkte Platten wie die vor dem Philosophikum finden sich an verschiedenen Stellen in der Stadt. Ein weiterer Feuertelegraph, diesmal ohne Odenthal-Schriftzug, wohnt zum Beispiel auf der Dürener Straße in Höhe der Hausnummern 84/86, ein anderer an der Volksgartenstraße in der Südstadt. Und was macht so ein Feuertelegraph?

Feuertelegraph vor der Dürener Straße 84/86

Direkter Draht

Feuertelegraphen waren die Brandmelder des 19. Jahrhunderts und beruhten auf der Technik der Telegraphie. Sie ermöglichte die Übermittlung von schriftlichen Nachrichten über Distanz durch elektrische Leitungen. Die Telegraphie war eine bahnbrechende technische Innovation ihrer Zeit und führte zur Verkabelung der Welt. In den 1850ern wurden beispielsweise die ersten Versuche unternommen, Europa und Nordamerika mit Unterseekabeln zu verbinden.

Die über das Stadtgebiet verteilten Kölschen Feuertelegraphen fungierten als Meldestellen. Im Brandfall tat der Meldende einen einfachen Handgriff am Feuertelegraphen, indem er eine Kurbel drehte, einen Knopf drückte oder an einem Griff zog. Dann übermittelte der Feuertelegraph den Alarm an eine Zentralstelle bei der Feuerwehr. Jeder Feuertelegraph hatte seinen spezifischen Alarmton – in der Telegraphie spricht man von Codierrädern – sodass die Zentrale identifizieren konnte, woher der Alarm kam. In der Zentrale ging zudem die Feuerglocke an. Bei der Meldestelle ertönte wiederum ein Signalton, der bestätigte, dass die Feuermeldung am Zielort eingegangen war.

Feuertelegraph an der Volksgartenstraße, Ecke Vorgebirgsstraße

Die Technik ging im späten 19. Jahrhundert an den Start und findet sich auch in anderen deutschen Städten. Aus Wuppertal stammt dieser Feuertelegraph, ähnliche finden sich in Düsseldorf. Im Gegensatz zu ihren Kölner Pendants sind sie außen an Hauswänden angebracht und nicht in der Erde versenkt.

Von Frank Vincentz – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5395504

Kurze Karriere

Die Telegraphie geriet als Technik zur Brandmeldung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Hintertreffen. Andere Medien wie das Telefon nahmen ihren Platz ein. Was sich heute unter den gusseisernen Deckeln in Köln befindet? Vermutlich nicht mehr viel. Die Telegraphenbestandteile sind sicher im Laufe der Jahrzehnte ausgebaut oder geklaut worden und anderweitig zum Einsatz gekommen. So erinnern heute nur die Deckel mit dem Aufschrift Feuertelegraph an den Nutzen einer revolutionären Technik für die uralte Aufgabe der Brandbekämpfung.

Hier geht es zum Erratum des Blogbeitrags.

Der einsame St. Stephan

Die aufmerksame Spaziergängerin kreuzt in Köln viele Kirchen, vor allem katholische. Manche sind alt wie die Kartäuserkirche, manche sind jünger wie die Kirche Christi Auferstehung am Lindenthaler Kanal. Und andere überraschen durch einen freistehenden Kirchturm, einen sogenannten Campanile. Das Wort stammt vom italienischen campana, der Glocke.

Einen solchen Campanile finden wir an der Bachemer Straße in Lindenthal. Dort steht die Kirche St. Stephan. Auf dem Foto ist das Gemeindehaus von St. Stephan mit dem Kreuz am Giebel zu sehen und rechts im Hintergrund der Kirchturm.

Der Turm ist etwas zurückgesetzt von der Straße und schön eingerahmt von Bäumen. Im Abendlicht leuchtet der rote Backstein und bildet einen tollen Farbkontrast zum Grün der Bäume und zum blauen Himmel.

Der Kirchturm von St. Stephan war nicht immer ein Campanile, sondern bildete ursprünglich den Abschluss eines neogotischen Kirchenschiffs. Das zeigt uns diese Postkarte von 1906. Damals hatte der Kirchturm außerdem noch eine hohe Spitze, die heute genauso wie das frühere Kirchenschiff fehlt.

St. Stephan (Zustand 1904), Postkarte von 1906, gemeinfrei https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St._Stephan_alt-Ansicht.jpg

Wie die Kirche ihre Spitze verlor

St. Stephan wurde in den 1880er Jahren gebaut. Lindenthal war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark gewachsen und die bereits bestehende katholische Gemeinde zu klein, um alle Gläubigen zu empfangen. So fand 1884 die Grundsteinlegung an der Bachemer Straße statt und 1887 die Einsegnung der neuen Kirche. Bei der Namenswahl war man wenig kreativ: Zu Alt St. Stephan, der bereits zuvor ansässigen Gemeinde des Krieler Dömchens, gesellte sich St. Stephanus.

Ein Luftangriff zerstörte die Kirche im Mai 1941, lediglich der Turm blieb weitgehend unbeschädigt. Er brannte bei einem weiteren Bombenangriff 1944 völlig aus. Der Schaden an St. Stephan war so groß, dass das Gotteshaus nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut werden sollte und als Baumaterial für andere zerstörte Gebäude diente.

In den 1950er Jahren kam es zur Kehrtwende: Das Erzbistum Köln entschied, St. Stephan wiederaufzubauen. Hinter dem Campanile, der auf der Ruine des früheren Kirchturms errichtet wurde, entstand der neue Kirchenbau. Nach der Grundsteinlegung 1960 weihte der Kölner Kardinal Frings die Kirche 1961.

St. Stephan verbindet den roten Backstein des Campanile mit dunklen metallenen Eingangstüren und einem hellen Glaskubus. Damit entfernt sich der Bau weit von der Kirche, wie sie im 19. Jahrhundert aussah. Der Turm, seiner Spitze beraubt, ist das einzige Überbleibsel des ursprünglichen neogotischen Bauwerks.

Ein Spaziergang an einem sommerlichen Abend zu St. Stephan lohnt sich. Das Ensemble ist spannend und seit 1985 auf der Denkmalliste der Stadt Köln. Nicht zuletzt hat der Kirchturm inzwischen Untermieter: Abends sausen viele Fledermäuse zwischen Campanile und den Bäumen auf dem Kirchengelände herum.

Das richtige Gedenken

Mein Blogbeitrag über den Napoleonstein auf dem Melaten-Friedhof drehte sich um das Gedenken an Soldaten, die für die „falsche“ Seite gestorben sind. Im Kontext des Napoleonsteins waren dies Kölner Soldaten, die während der napoleonischen Kriege auf Seiten Frankreichs gekämpft hatten. Das Denkmal selbst stammt aus den 1850er Jahren, als Köln längst Teil Preußens war. Im Elsass, wo ich unterwegs war, stellt sich die Frage, wie man der Soldaten gedenkt, die für die „falsche“ Sache gestorben sind, noch viel mehr. Heute sind die Fundstücke also auf Tour!

Zwischen zwei Staaten

Das Elsass war im 19. und 20. Jahrhundert Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich. Die Region wechselte mehrfach zwischen beiden Ländern hin und her. Nach dem deutsch-französischen Krieg annektierte das Deutsche Reich 1871 das Elsass, das bis 1919 deutsch blieb. Im Ersten Weltkrieg kämpften elsässische Soldaten für das Kaiserreich. Infolge der deutschen Niederlage wurde die Region 1919 wieder französisch – 1940 nach dem deutschen Überfall auf die Nachbarländer erneut Teil des Deutschen Reiches. Die Wehrmacht zog in den Folgejahren auch Elsässer als Soldaten ein. Im Französischen gibt es einen speziellen Ausdruck für diese Zwangsrekutierten: die „malgré-nous“ (wider unseren Willen). Seit 1945 gehört das Elsass zu Frankreich.

In folgendem Zeitraumgehörte das Elsass zu
1871-1919Deutsches Reich
1919-1940Frankreich
1940-1945Deutsches Reich
seit 1945Frankreich

Jenseits politischer Grenzen ist das Elsass ein klassisches Grenzgebiet, wo Sprachen ineinander übergehen. Die historischen Ortsnamen sind deutsch geprägt, der elsässische Dialekt ist eine alemannische Mundart. Er spielt gegenüber der dominierenden französischen Sprache im Alltag allerdings heute keine große Rolle mehr.

Aus dem Raster

In Frankreich gibt es, wie auch in Deutschland, vielerorts Denkmäler für die gestorbenen Soldaten der beiden Weltkriege. Im Unterschied zum Kölner Napoleonstein, der auf eine private Initiative zurückgeht, handelt es sich hier im kommunales Gedenken von Gemeinden. Das macht es politischer. Die Soldatendenkmäler landauf, landab ähneln einander in der Gestaltung und in den Formulierungen:

„La patrie reconnaissante“ (Das dankbare Vaterland)

„Morts pour la France“ (Für Frankreich gestorben)

„Morts sur les champs d’honneur“ (Auf dem Feld der Ehre gestorben)

Diese Wendungen passten nicht im Elsass, da die elsässischen Soldaten im Ersten und teilweise im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Flagge gekämpft hatten. Gleichwohl wollten die Kommunen vor Ort ihrer Toten auf den Schlachtfeldern gedenken. Wie setzten sie also das Gedenken für die Toten der „falschen“ Seite um?

Das Gesagte und das Ungesagte

Monswiller
Dossenheim-sur-Zinsel

Die Fotos zeigen zwei Kriegerdenkmäler aus dem elsässischen Monswiller und Dossenheim-sur-Zinsel. Beide Orte liegen wenige Kilometer voneinander entfernt, etwa 40 Minuten nordwestlich von Strasbourg. Auf den ersten Blick auffällig ist der für die Region typische rote Sandstein, aus dem beide Denkmäler bestehen. Schauen wir uns die Formulierungen genauer an:

Monswiller
Dossenheim-sur-Zinsel

In Monswiller lautet die Inschrift recht ausführlich: „La commune de Monwiller à ses enfants morts sur les champs de bataille“ (Die Gemeinde Monswiller ihren Kindern, die auf den Schlachtfeldern starben). In Dossenheim erinnert sie schlicht „A nos morts“ (Unseren Toten).

Beide Formulierungen sind neutral gehalten und vermeiden die Begriffe „Vaterland“ oder „Feld der Ehre“. Auch entfällt die Länderzuordnung. Die Denkmäler verraten nicht, für wen die Soldaten starben – und verraten es genau deshalb. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der Trauer über die Toten aus dem jeweiligen Ort. In Monswiller wird die Verbindung über die Personifizierung ausgedrückt: die Gestorbenen als Kinder Monswillers. In Dossenheim drücken „unsere Toten“ die Zugehörigkeit zur Gemeinde aus. Auf diese Weise beantworten beide Denkmäler die eingangs gestellte Frage, wem die Toten gehören: den jeweiligen Gemeinden. Ein wie auch immer geartetes Vaterland kann es angesichts wechselnder Zugehörigkeiten nicht sein.

Auch bildlich entfallen Landessymbole, ein RF für „République française“ sucht man vergeblich. Es dominieren universale Symbole der Ehrbekundung und Trauer. So trägt der antik anmutende Engel in Monswiller einen Ehrenkranz und in Dossenheim schwebt über der Frau ein Eichenbaum als Zeichen der Ewigkeit.

Unseren Toten

Während das Denkmal in Monswiller lediglich der Toten des Ersten Weltkrieges gedenkt, zählt sein Dossenheimer Pendant auf zwei Seiten die Verstorbenen des Ersten, Zweiten sowie des Algerienkrieges auf. Er dauerte von 1954 bis 1962, als sich die vormalige nordafrikanische Kolonie Algerien ihre Unabhängigkeit von Frankreich erkämpfte.

Dossenheim: 1914-1918
Dossenheim: 1939/1940-1945, 1954-1962

Neben den militärischen Opfer dreier Kriege unter verschiedenen Flaggen nennt das Denkmal auch die „victimes civiles de guerre 1939-1945“, also zivile Opfer des Zweiten Weltkriegs. Der Zornhoff, der namentlich erwähnt wird, war eine örtliche Werkzeugfabrik. Sie wurde gegen Kriegsende von amerikanischen Bomben getroffen. Vermutlich starben die genannten Personen infolge des Angriffs.

Soldaten an der Front, Zivilisten in der Heimat, zwei Welt- und ein Dekolonisierungskrieg – es steckt viel drin in diesem unscheinbaren Denkmal. Spannend ist auch, was möglicherweise nicht drin steckt. Gab es jüdische Bewohner in Dossenheim? Wenn ja, haben sie die deutsche Besetzung des Elsass zwischen 1940 und 1945 überlebt? So sie im Zweiten Weltkrieg starben, haben sie keinen Platz auf dem Denkmal gefunden.

Unterwegs nach Düren

Auf der Liste der Fundstücke in besonders trostloser Umgebung steht dieses hier ganz weit vorn: auf der Dürener Straße kurz vor Marsdorf, in einer Unterführung unterhalb der A4 und neben einer Autobahnauffahrt.

Nein, es ist nicht das blaue Aralschild, sondern der Meilenstein, der links davon an die Betonwand gepresst steht. Er ist etwas erhöht auf einem Podest positioniert und hat zwei Poller als Geleit. Die Erhöhung führt das Absurde an dem Standort noch mehr vor Augen. Wir lassen uns nicht davon abschrecken und schauen uns genauer an, was da unter der Brücke beheimatet ist.

Infrastruktur made by Prussia

Der Meilenstein steht linkerhand, wenn man die Dürener Straße stadtauswärts fährt. Er besteht aus Sandstein. Während der obere Teil stark verwittert und kaum noch erkennbar ist, laut die Inschrift darunter:

Cöln Dürener Bezirksstrasse

erbaut 1830

1 Meile 1,00

Der Meilenstein erfüllt eine doppelte Funktion. Er gibt erstens eine Entfernung an, nämlich eine Meile ab der Kölner Innenstadt. Die deutsche Meile zählte etwa 7,5 km und war damit deutlich länger als die heutige Meile. Gemessen wurde ab der Kreuzung Schildergasse / Hohe Straße.

Zweitens erinnert der Stein mit seiner Inschrift an den Bau der Bezirksstraße Richtung Düren im Jahr 1830, als Köln Teil der preußischen Rheinprovinz war. Die Bezirksstraße entspricht heute in großen Teilen der Bundesstraße 264 von Köln über Düren und Aachen bis an die belgische Grenze. Die Infrastruktur aus dem 19. Jahrhundert prägt also, auch wenn die darüber laufende A4 heute natürlich deutlich mehr Verkehr führt.

Gerupfte Adler

Für die Frage, wie der beschädigte obere Teil des Meilensteins früher ausgesehen hat, hilft uns ein Blick Richtung Bonn.

Meilenstein in Alfter, Foto: Prof. emeritus Hans Schneider (Geyersberg) • CC BY 3.0.

In Alfter steht ein Geschwistermeilenstein mit der Aufschrift „Bonn Schleidener Bezirksstrasse, erbaut 1823“. Bei ihm ist oben „Regierungs-Bezirk Cöln, Kreis Bonn“ zu lesen und mittig der preußische Adler zu erkennen.

Wenn man ganz genau hinschaut, dann sind die Umrisse des Adlers, zumindest ein Flügel, der Kopf und der Schnabel, auch noch bei unserem Fundstück zu erkennen. Dem Kölner Meilenstein hat der Zahn der Zeit allerdings deutlich mehr zugesetzt. Das verbindet ihn übrigens mit einem anderen Fundstück. Auf dem Kriegerdenkmal in Köln-Kalk wohnt ein preußischer Adler, der auch schon bessere Tage gesehen hat…

War war Helene Schmittmann?

Beim Schreiben des letzten Blogbeitrags hat mich die Frage beschäftigt, wessen Geschichte ich hier erzähle: Ist es die von Benedikt Schmittmann, Professor an der Uni Köln, den die Nazis ermordeten? Ist es die von Helene Schmittmann, die nach dem Tod ihres Mannes das Wohnheim am Sachsenring aufbaute? Oder ist es eine Geschichte des Ehepaars Schmittmann zusammen?

Hinter der Unsicherheit verbirgt sich die Frage nach handelnden Personen, nach Agenda und nach Quellenlage. Sie berührt ein veritables Problem der Geschichtswissenschaft, weil ausgehend von der Überlieferung bestimmte Akteure in den Vordergrund treten, während andere unsichtbar bleiben. Das ist zum Beispiel bei Kolonialarchiven ein Problem. Sie bilden in der Regel den Blick der Kolonisatoren ab, lassen aber selten Kolonisierte für sich zu Wort kommen.

Während Benedikt Schmittmann Spuren in Gestalt von Büchern, in Archiven, in Denkmälern und in Stolpersteinen hinterlassen hat, scheint Helene Schmittmann weniger greifbar. Deshalb hier der Versuch, ihre Geschichte zu schreiben.

Tochter aus gutem Hause

Helene Schmittmann, genannt Ella, wurde 1880 geboren. Sie stammte aus der sehr wohlhabenden Kölner Industriellenfamilie Wahlen, ihr Großvater galt als Begründer des Stadtteils Ehrenfeld. Die Wahlens gehörten zur Kölner High Society. Helene Wahlen war eine Cousine von Konrad Adenauers erster Frau Emma Weyer, die diesem wiederum den Aufstieg in die Stadtelite ermöglichte.

Das Umfeld, in dem Helene Wahlen aufwuchs, war katholisch geprägt und finanziell sehr gut ausgestattet. Sie genoss mit dem Besuch einer privaten höheren Töchterschule eine umfassende Bildung für Mädchen zur damaligen Zeit. Die Kölnerin legte sogar, wahrlich eine Besonderheit, während ihrer Schulzeit zwei Auslandsaufenthalte in den Niederlanden und in Großbritannien ein.

Helene Wahlen (vorn mittig?) und Konrad Adenauer als Mitglieder des katholischen Tennisvereins Pudelnass. Jahr unbekannt. Foto mit freundlicher Genehmigung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung.

1901, mit 21 Jahren, verlobte sie sich mit Benedikt Schmittmann. Zwei Jahre später folgte die Hochzeit. Es war in dem Sinne eine standesgemäße Verbindung, als auch die Schmittmanns eine vermögende großbürgerliche Familie waren, wenn auch aus der Nachbarstadt Düsseldorf.

Im Dienst ihres Mannes

Während der über 35 Ehejahre verstand sich Helene Schmittmann als

Hüterin des Hauses und Mitarbeiterin am Schreibtisch ihres Mannes.

Zitiert nach: Alfred Kuhlmann: Helene Schmittmann. Mit Glaube und Liebe für eine bessere Welt. Köln 2003, S. 14.
Das Ehepaar Schmittmann, Foto mit freundlicher Genehmigung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung.

Dieser Anspruch macht es schwer, sie als Individuum in der gemeinsamen Zeit herauszuschälen. Sie unterstützte ihren Mann, sei es in dessen Rolle als Professor an der Uni Köln oder bei seinem politischen Engagement in der Weimarer Republik. Ihr Zurücktreten hinter ihren Mann spiegelt das bürgerliche Rollenverständnis der Zeit wider.

Es ist, als sei ihre Person ganz in den Dienst des Mannes einbezogen.

Ebd., S 15.

Profil in schweren Zeiten

1933 zogen mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten dunkle Wolken für das Ehepaar auf. Beide wurden im Frühjahr verhaftet, Helene Schmittmann aber noch am selben Abend freigelassen. Durch die Gefangenschaft ihres Mannes trat sie stärker als eigenständige Akteurin auf und bemühte sich bei verschiedenen Stellen um seine Freilassung. Verhandlungen mit der Gestapo, Bittgänge bei einem Reichstagsabgeordneten und beim Regierungspräsidenten – das erforderte Mut und Zähigkeit.

Mit Kriegsbeginn Anfang September 1939 wurde Benedikt Schmittmann ins Konzentrationslager verschleppt. Auch jetzt bemühte sich die Kölnerin wieder um die Freilassung ihres Mannes. Diesmal erfolglos: Er starb nach wenigen Tagen an den Folgen der körperlichen Misshandlungen im KZ Sachsenhausen.

Daraufhin fuhr Helene Schmittmann Mitte September 1939 nach Oranienburg und sprach beim Lagerkommandanten vor. Tatsächlich konnte sie sich von ihrem verstorbenen Mann verabschieden und seine Leiche nach Düsseldorf überführen. Das war ein völlig ungewöhnlicher Vorgang, von der persönlichen Vorsprache bis hin zum Überführen des Leichnams ins Rheinland. Er sollte, so ihr Wunsch, in Düsseldorf beerdigt werden.

Die außergewöhnliche Behandlung hing sicher mit Helene Schmittmanns hohem sozialen Status und ihrem Netzwerk zusammen. Dennoch erforderte es auch hier viel Mut, sich ins KZ vorzuwagen und auf die Überführung zu drängen. Nach der Beerdigung ihres Mannes verhinderte die Gestapo den Abdruck von Todesanzeigen in regionalen Zeitungen in Düsseldorf und Köln.

Bestens vernetzt im Nachkriegsköln

Die letzten Kriegsmonate verbrachte Helene Schmittmann in Bad Honnef, kehrte aber bald nach Kriegsende nach Köln zurück. Sie knüpfte in den Folgejahren an alte Kontakte an und begann, sich zu politisch zu engagieren. So setzte sich die Kölnerin für eine föderale Ordnung Deutschlands, die deutsch-französische Aussöhnung und die europäische Einung ein.

Diese Ziele knüpften an das Wirken ihres Mannes in den 1920er Jahren an, nun setzte sie das Engagement fort. Schmittmann zählte zu den Gründungsmitgliedern der Kölner Europa-Union und anderer Initiativen. Außerdem war die Witwe weiterhin in engem Kontakt mit Konrad Adenauer, der 1949 erster Kanzler der Bundesrepublik wurde.

Helene Schmittmanns 75. Geburtstag 1955, rechts: Konrad Adenauer. Foto mit freundlicher Genehmigung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung.

Schmittmann war zudem weiterhin – oder vielleicht wieder – gut mit der Kölner High Society vernetzt. Die Gästeliste für ihren 75. Geburtstag im Jahr 1955 umfasste neben Adenauer auch Kardinal Frings, den Oberbürgermeister sowie den Regierungspräsidenten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das Studentenwohnheim Schmittmann-Haus bereits gegründet. Seit 1953 prägte sie das Haus, wählte Bewohner aus und war Ansprechpartnerin für sie. Mit dem Wohnheim verwirklichte die Kölnerin einen Wunsch ihres Mannes aus seinem Testament. Dennoch war sie diejenige, die dem Projekt Leben einhauchte und es praktisch ausgestaltete.

Helene Schmittmann. Foto mit freundlicher Genehmigung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung.

1968 gründete die bereits 88-Jährige die Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung. Sie verfolgt das Ziel, das Wohnheim zu unterstützen und Stipendien an notleidende Studierende zu vergeben. Ihr Vermögen und das ihres verstorbenen Mannes gingen in der Stiftung auf. Helene Schmittmann starb 1970 im hohen Alter von 90 Jahren.

Spuren

Nach 1945 entwickelte Helene Schmittmann eine rege politische und gesellschaftliche Aktivität. Sie war gut vernetzt und präsent in Köln. Es entsprach ihrem Selbstverständnis als (Ehe-) Frau, dass sie erst als Witwe als eigenständige Person auftrat. Dabei berief sie sich zwar auf das Erbe ihres Mannes, hatte aber zugleich eine eigene Agenda.

Das Wohnheim am Sachsenring in der Südstadt ist eine sehr deutliche Spur Helene Schmittmanns im Stadtbild. Eine weitere Spur ist die Stiftung, in der sie spannenderweise auch ihren Mädchennamen verewigt hat: die Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung. Die Beweggründe für die Entscheidung sind unklar. Vielleicht wollte sie damit ihren klangvollen Kölner Familiennamen unterbringen.

Stichwort Wahlen: In Ehrenfeld gibt es eine Wahlenstraße. Sie quert die Venloer Straße neben der Josephskirche, gegenüber vom Neptunbad. Die Benennung erinnert wohl an den Begründer des Veedels. Dies ist zwar keine direkte Spur Helene Schmittmanns, verweist aber auf ihren familiären Hintergrund in der städtischen Elite und spannt einen Bogen von Ehrenfeld bis in die Südstadt.

Benedikt Schmittmann

„Er gehört zu den wenigen Universitätsprofessoren, die im Kampfe gegen den Nationalsozialismus ihr Leben dahingegeben haben (…). Die Universität Köln kann stolz darauf sein, daß sie diesen Märtyrer einst zu ihren Dozenten zählen durfte.“

Konrad Adenauer, zitiert nach https://schmittmann-kolleg.de/wordpress/benedikt-schmittmann/

So ehrte Konrad Adenauer seinen Freund Benedikt Schmittmann nach dem Zweiten Weltkrieg. Schmittmann hat Spuren in Köln hinterlassen: zwei Stolpersteine, eine Figur am Rathausturm – und ein Wohnheim für Studierende in bester Lage am Sachsenring. Aber dazu später mehr.

Schmittmann-Figur am Rathausturm Köln, © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Katholik durch und durch

Schmittmann stammte aus einer wohlhabenden Familie und kam 1872 in Düsseldorf auf die Welt. Er studierte Rechtswissenschaften und arbeitete unter anderem in der rheinischen Provinzialverwaltung, wo er sich in der Gesundheitspolitik einbrachte. Der Jurist war insbesondere in der Tuberkulosebekämpfung tätig. 1919 wurde er Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Köln.

Benedikt Schmittmann, etwa 1905. Von unbekannt – [1], Arminia 1863-1963, Bonn 1963 u. a.

Mit Adenauer teile Schmittmann den katholischen Glauben, stand er doch für die katholische Soziallehre. Sie setzte sich auf theologischer Grundlage mit aktuellen sozialen Problemen auseinander. Zudem vereinte Adenauer und Schmittmann das politische Engagement. Der Düsseldorfer setzte sich in der Weimarer Republik für ein föderales System im Deutschen Reich ein. Er beäugte die Vormachtstellung Preußens kritisch und sah in ihr eine Gefahr für einen erneuten Krieg in Europa. Der Professor konnte sich innerhalb seiner Partei, des katholischen Zentrums, nicht durchsetzen.

Das Jahr 1933 bedeutete einen großen Umbruch für Schmittmann. Die Nationalsozialisten verschleppten ihn bereits kurz nach ihrem Machtantritt, sperrten ihn ein und sorgten dafür, dass er ein Lehrverbot erhielt. Sie warfen ihm vor, die katholische Soziallehre zu verbreiten. Zwar kam Schmittmann wieder frei, war sich aber der Gefahren bewusst. Freund und Feind drängten ihn dazu, auszuwandern, aber seine Frau Helene und er entschieden sich zu bleiben.

Mit Kriegsbeginn im September 1939 verhafteten die Nazis Schmittmann erneut. Sie deportierten ihn ins KZ Sachsenhausen, wo er noch im September an den Folgen der erlittenen Misshandlungen starb. Helene Schmittmann bewirkte, dass der Leichnam nach Düsseldorf kam, wo er auf dem Nordfriedhof bestattet wurde. Die Witwe überlebte den Krieg, die gemeinsame Villa am Sachsenring ging 1943 durch Bomben in Flammen auf.

Das Nachleben des Professors

Helene Schmittmann setzte in den 1950er Jahren einen Wunsch ihres Mannes aus seinem Testament um. Sie ließ die Villa am Sachsenring 26 wiederaufbauen und macht ein Wohnheim für Studierende daraus. Es eröffnete 1953. Schmittmann selbst zog auf die gegenüberliegende Straßenseite und wählte in den Anfangsjahren die Bewohner aus.

Das Wohnheim war selbstverwaltet und sollte explizit ein Begegnungsraum sein, wie es auch die Professorenvilla in den 1920er Jahren gewesen war. Helene Schmittmann selbst kam in den frühen Jahren regelmäßig im Wohnheim vorbei, um die Hühner zu füttern, die hinter dem Haus lebten, oder um die Kartoffeln in der Speisekammer nachzufüllen. Bis in die 1970er Jahre lebten nur Studenten am Sachsenring 26, dann kamen auch Studentinnen hinzu.

Helene Schmittmann starb 1970. Über ihren Tod hinaus führt eine gemeinnützige Stiftung ihr Werk und das ihres Mannes fort. Sie unterstützt einerseits das Wohnheim und bietet andererseits Studienförderung an der Uni Köln an, etwa Promotions- oder Auslandsförderung. Auch dies geht auf das Testament Benedikt Schmittmanns zurück.

Und heute?

Das Wohnheim am Sachsenring beherbergt heute 24 Studierende in bester Lage in der Südstadt. Es wird weiterhin selbstverwaltet und bietet seinen Bewohnern Semesterprogramme mit Veranstaltungen an. Vor der Tür erinnert ein Stolperstein an den früheren Bewohner und Stifter Benedikt Schmittmann.

Zu vulgär, zu komplex, nicht französisch genug

Wer aufmerksam durch Köln geht, kann sie an verschiedenen Ecken entdecken: die deutsch-französischen Straßenschilder. Die in Stein gehauenen Schilder sind mal versteckt, mal gut sichtbar, manche sind kaum lesbar, andere edel mit goldener Farbe nachgezeichnet. An der Aachener Straße, in die Mauer des Melaten-Friedhofs ist dieses Schild eingelassen:

Und in der Innenstadt kann man an der Ecke Krebsgasse / Brüderstraße dieses Exemplar entdecken. Umgeben von rotem Backstein informiert es, dass diese Straße dereinst „rue de l’écrevisse / Krebsgasse“ hieß.

Die zweisprachigen Straßenschilder gehen auf die französische Besatzung Kölns zwischen 1794 und 1814 zurück. Ausgedacht hat sich die Straßennamen Ferdinand Wallraf. Der Gelehrte lebte von 1748 bis 1824 und war Professor sowie Rektor der alten Kölner Universität. Während der Franzosenzeit wurde er Conservateur des Monuments (Stadtkonservator), in dieser Funktion gestaltete er unter anderem den Melaten-Friedhof. Der Nachlass Wallrafs, vor allem seine Kunstsammlung, befindet sich heute im Wallraf-Richartz-Museum in der Innenstadt.

1811 erhielt Wallraf von der Stadtregierung den Auftrag, sich der Kölner Straßennamen anzunehmen und sie ins Französische zu übersetzen. Der Professor schritt zur Tat. Dabei hielt er nicht nur den Status quo fest, sondern wurde kreativ, wenn er Straßennamen ablehnte.

Aus alt mach neu

Erschienen Wallraf Straßennamen als zu vulgär, benannte er sie um. So geschehen mit der Kotzgasse, die er kurzerhand in Kostgasse oder rue des traiteurs umtaufte. Der Gelehrte sah ebenfalls Handlungsbedarf, wenn Straßennamen Präpositionen enthielten. So nahm er einige Veränderungen im Sinne der Vereinfachung vor:

alter Nameneuer NameÜbersetzung
Vor den MinoritenMinoritenstraßerue des mineurs
An St. CatharinenKreuzfahrerplatzplace des croisés

Schließlich nutzte Wallraf Straßennamen, um Kölns Verbundenheit mit Frankreich zu demonstrieren. Die place Napoléon, die An den Augustinern ersetzte, ist ein sehr eindeutiges Beispiel dafür. Doch die Verbindung zum Empire sollte auch über die gemeinsame römische Vergangenheit dargestellt werden. Deshalb taufte Wallraf den Gülichplatz in place Jules César (Juliusplatz) und den Malzbüchel in place Agrippa (Agrippaplatz) um.

Dabei wählte er nicht nur die römische Antike als Bezugspunkt. Auch die Franken kamen zur Sprache. Der Domhof hieß nun Kaiser-Karl-Platz bzw. place Charlemagne und ehrte Karl den Großen als gemeinsamen deutsch-französischen Ahnherr. Und der Elogiusplatz wurde zum Chlodwigplatz oder place Clovis in Gedenken an den Frankenkönig des 5. Jahrhunderts.

Von kurzer Dauer

Der Stadtbevölkerung blieb kaum Zeit, um sich an die neuen Namen zu gewöhnen. Ab Dezember 1812 waren sie in Kraft. Da war Napoleons Stern schon im Sinken. Als die Preußen an den Rhein kamen, machten sie ab 1816 vieles rückgängig. Vor allem über die place Napoléon mussten sie wohl nur kurz nachdenken.

Manche Bezeichnungen und Straßennamen blieben aber bestehen. Und in noch selteneren Fällen haben auch die zweisprachigen Straßenschilder überlebt. Sie sind für die aufmerksame Spaziergängerin noch heute vereinzelt im Kölner Stadtbild zu entdecken.

Zum Weiterlesen:

Das Rheinische Bildarchiv hat ein sehr schönes Dokument, ein Namensverzeichnis mit den Umbenennungen von 1812: https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05147231/rba_d033413

Und die Museen der Stadt Köln erzählen hier die Geschichte der Zeughausstraße / rue de l’Arsenal hinter dem Stadtmuseum: https://museenkoeln.de/portal/bild-der-woche.aspx?bdw=2012_50

Die Kirche Christi Auferstehung

An den Lindenthaler Kanälen gibt es nicht nur Enten, Schwäne und griechische Gottheiten zu bewundern, sondern auch eine ungewöhnliche Kirche. Die Kirche Christi Auferstehung liegt an der Brucknerstraße, am Ende des Clarenbachkanals inmitten schöner Bäume. Ungewöhnlich ist sie vor allem wegen ihres Aussehens: ein brutalistischer Bau der 1960er Jahre aus Sichtbeton und Ziegeln.

Ihr Architekt Gottfried Böhm (1920-2021) hat viele Kirchen im Nachkriegsköln gebaut. Dazu zählt auch die Kapelle „Madonna in den Trümmern“, die heute ins Diözesanmuseum St. Kolumba integriert ist. Mit die Beschreibung seiner Bauten als brutalistisch (vom französischen „béton brut“, roher Beton, nicht von brutal!) hat Böhm übrigens gefremdelt:

„Ich möchte doch nicht als brutaler Mensch gelten, einer der brutalistisch baut. Nur weil ich Beton verwende? Sind Kirchen in Granit dann auch brutalistisch? Mir geht es um Wärme.“

https://www.domradio.de/artikel/interview-mit-architekt-gottfried-boehm-zu-seinem-100-geburtstag

Die Kirche als Skulptur

Die heutige Kirche Christi Auferstehung ist der Nachfolgebau eines Gotteshauses aus den 1930er Jahren. Es hatte Kriegsschäden erlitten und wurde in den 1960er Jahren abgerissen. Zwischen 1964 und 1970 entstand der aktuelle Bau nach den Plänen von Gottfried Böhm, Wilhelm Jungherz und Klaus Micheel. Ihm liegt die Idee zugrunde, ein Bauwerk als Skulptur aufzufassen: runde Flächen, abgeschrägte Kanten, verschiedene Höhenstufen und der rückwärtige Kirchturm. Hinzu kommt die Verbindung der roten Ziegel- und hellen Sichtbetonflächen.

Während die Kirche von außen freundlich und hell erscheint, wirkt der Innenraum duster. Er bekommt kaum Tageslicht, die Ziegel- und Betonoptik wirkt hier ganz anders. Ich habe den Raum als bedrückend wahrgenommen, zumal der gekreuzigte Jesus in unerreichbarer Höhe oberhalb des Alters hängt.

Zum bedrückenden Eindruck haben vielleicht auch die Fenster beigetragen. Sie bestehen teilweise aus Nägeln und roter Farbe, was an die Kreuzigung, inklusive herunterlaufendes Blut, erinnert.

Die Erinnerung wachhalten

1987 richtete die Kirchgemeinde im Vorraum eine Edith-Stein-Kapelle ein. Das Jahr war nicht zufällig gewählt: 1987 sprach Papst Johannes Paul II. die Philosophin selig. Und auch der Ort ist kein Zufall. Edith Stein hatte von 1933 bis 1938 an der benachbarten Dürener Straße im Kloster gelebt und zur Pfarrei Christi Auferstehung gehört. 1938 floh die Nonne in die Niederlande, wo die Nazis sie 1942 verhafteten und deportierten. Sie wurde im Sommer 1942 in Auschwitz ermordet.

Die Edith-Stein-Kapelle bildet eine Brücke in die Vergangenheit. Ihre Namenspatronin starb mehr als 25 Jahre vor der Eröffnung der Kirche Christi Auferstehung in den Gaskammern. Sie hat das Gotteshaus in seiner jetzigen Form nie kennengelernt. Das Kloster an der Dürener Straße, in dem Edith Stein gelebt hat, steht auch nicht mehr. Beides, Kloster und Vorgängerkirche, fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.

Aus den Ruinen des Krieges entstand das „neue Köln“ mit Trümmerbergen und Sakralgebäuden im Stile des Brutalismus. Zu ihnen gehören Kirchen wie Christi Auferstehung oder St. Gertrud an der Krefelder Straße. Sie prägen das heutige Stadtbild mit – sei es an den lieblichen Lindenthaler Kanälen oder von der Bahnlinie aus sichtbar im Agnesviertel.

Steinzeit in Lindenthal

Dieses Foto sieht nicht nur nach Sommer aus, sondern zeigt auch ein Fundstück aus dem Grüngürtel, in der Nähe des Stüttgenhofs und der KVB-Linie 7. Das Fundstück verbirgt sich allerdings unter der Erde, denn es ist eine steinzeitliche Ausgrabung. Zu sehen ist heute nicht mehr viel davon, nur ein Findling mit einer Metallplatte erinnert an der Weggabelung daran.

Eine großangelegte Ausgrabung

Ende der 1920er Jahre plante die Stadt Köln unter ihrem Oberbürgermeister Konrad Adenauer, einen Botanischen Garten im Äußeren Grüngürtel anzulegen. Hierfür verlegten Bauarbeiter den Frechener Bach bei der Bahnlinie von Frechen nach Köln. Dabei stießen sie auf die Überreste einer bandkeramischen Siedlung. Der Botanische Garten an der Stelle wurde ad acta gelegt und eine umfangreiche Ausgrabung nahm ihren Anfang. Sie dauerte von 1929 bis 1934, das Geld kam unter anderem von der Stadt Köln.

Die Ausgrabung gilt bis heute als vorbildlich, was angesichts ihres Alters sehr beeindruckend ist. Forscher aus verschiedenen Disziplinen kamen zusammen, untersuchten Pollen, Tierknochen sowie Skelettmaterial, fertigten aber statische Gutachten und Luftbildaufnahmen an und entnahmen Bodenproben. Die Grabungsdokumentation befindet sich im Römisch-Germanischen Museum.

Vor allem ein Forscher tat sich mit dem bandkeramischen Dorf bei Lindenthal wissenschaftlich hervor: Werner Buttler (1907 bis 1940). Er leitete die Grabung in von 1932 bis 1934. Buttler war überzeugter Nationalsozialist und unternahm in den 1930er Jahren auch deutlich ideologisch geprägte Ausgrabungen. Deshalb ist es umso überraschender, dass das Lindenthaler Projekt bis heute als wissenschaftlich sauber und vorbildlich gilt.

Steinzeit im Kölner Westen

Und wer lebte nun im 6. Jahrtausend vor der Zeitenwende im Grüngürtel? Wie viele Menschen gleichzeitig die Gegend besiedelten, ist schwer zu sagen. Klar ist, dass die Siedlung etwa 400 Jahre lang bewohnt war. Die Häuser waren aus Holz, bis zu 35 Meter lang und etwa zehn Meter breit. Die Siedlung erstreckte sich von der Bahntrasse Richtung Dürener Straße. Ihre Bewohner waren Ackerbauer und Viehzüchter. Die sesshafte Lebensweise, verbunden mit Vorratshaltung, hatte etwa 6000 v. Chr. Einzug gehalten im heutigen Rheinland.

Bei der Ausgrabung sind Werkzeuge und Keramikstücke zu Tage getreten. Die Keramik hat der Kultur aus der Jungsteinzeit den Namen Bandkeramik gegeben. Und so hat man auch in Lindenthal keramische Gefäße mit Bandmustern, gepunkteten und geraden Linien, gefunden.

Das verborgene Fundstück im Grüngürtel erzählt uns gleich zwei Geschichten: eine, die mehrere Tausend Jahre alt, als die Menschen im Rheinland sesshaft wurden, und eine über die frühe Archäologie als Wissenschaft im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Es lohnt sich also, auch auf vergrabene Fundstücke zu achten!

Zum Weiterlesen:

Hier zeigen die Museen der Stadt Köln Keramikgefäße aus Lindenthal als Bild der Woche: https://museenkoeln.de/portal/bild-der-woche.aspx?bdw=2017_13

Infos zu Werner Buttler finden sich hier: https://sempub.ub.uni-heidelberg.de/propylaeum_vitae/de/wisski/navigate/25323/view

Simon Matzerath, Jonathan Schoenenberg und Marion Euskirchen, Das bandkeramische „Dorf“ von Lindenthal. Eine Pionierfundstelle der archäologischen Siedlungsforschung, in: Revolution Jungsteinzeit, Darmstadt 2016, S. 298-303.

Das Franzosengrab

Auf Melaten kann man einige überraschende Entdeckungen machen. Eine davon sieht so aus:

Wie kommt ein französisches Grab auf einen Friedhof mitten in Köln? Und was hat es mit den verstorbenen französischen Soldaten auf sich? Schauen wir uns das Ganze genauer an!

Französische Kriegsgefangene am Rhein

Kurzer Rückblick: Beim deutsch-französischen Krieg kämpften deutsche Staaten unter der Führung Preußens gegen das französische Kaiserreich. Der militärische Konflikt dauerte von Sommer 1870 bis Winter 1871, er fand fast ausschließlich auf französischem Boden statt. Bis zu 48 000 deutsche und rund 140 000 französische Soldaten starben auf den Schlachtfeldern. Am Ende des Krieges stand eine verheerende französische Niederlage. In diesem Zuge musste der französische Kaiser Napoleon III. abdanken, auf das Zweite Kaiserreich folgte die Dritte französische Republik. Auf der anderen Seite ging das Ende des Krieges mit der Gründung des deutschen Kaiserreiches einher. Im Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum deutschen Kaiser gekrönt.

Doch heute soll es weniger um die große Politik gehen als um ein Phänomen, auf das die Preußen nicht vorbereitet waren: Schon im September 1870 nahm die deutsche Armee nach der Schlacht von Sedan unter den französischen Soldaten 85 000 Gefangene. Viele weitere folgten nach der Kapitulation von Metz einige Wochen später. Wohin mit ihnen? Anfangs in provisorischen Lagern vor Ort untergebracht, kamen sie danach mit dem Zug nach Deutschland. Insgesamt wurden rund 400 000 Soldaten in Kriegsgefangenenlagern im gesamten Deutschen Reich interniert.

In Köln trafen ab September 1870 ca. 16 000 Männer ein. Unter ihnen gab es eine hohe Fluktuation; viele blieben nur einige Wochen oder Monate, ehe sie in andere Städte gebracht wurden. Sie kamen im rechtsrheinischen Gebiet unter, in Lagern in Deutz, Gremberg und Wahn. Das gilt allerdings nur für die „normalen“ Soldaten, die Offiziere wohnten in Privatunterkünften im Stadtgebiet. Im März 1871 konnten die ersten die Heimreise nach Frankreich antreten.

Der Toten Gedenken

Über 500 französische Soldaten starben in der Kriegsgefangenschaft in Köln. Sie erlagen ihren Kriegsverletzungen oder Krankheiten, die sie sich im Lager zugezogen hatten, etwa den Pocken. Die meisten von ihnen fanden ihre letzte Ruhe auf dem Melaten-Friedhof. Hier wurde bereits Ende Mai 1872, noch nicht einmal zwei Jahre nach Kriegsbeginn, ein Grabdenkmal für sie aufgestellt. Damit stand das Denkmal für die französischen Soldaten übrigens auch früher als das Ehrenmal für die in Köln gestorbenen deutschen Soldaten. Seine Denkmalweihe fand 1875 statt.

Das Denkmal besteht aus einem hohen Kreuz aus Sandstein, darunter eine Inschriftenplatte mit rotem Schriftzug:

Erigé par leurs compatriotes

À la Mémoire des soldats français décédés en 1870-71

R.I.P.

Durch ihre Landsleute errichtet. In Erinnerung an die 1870-71 verstorbenen französischen Soldaten. Requiescat In Pacem: Ruhet in Frieden

Rechts und links des „À la Mémoire“ sind zwei Leisten mit militärischen Insignien zu sehen: rechterhand ein Kanonenrohr, aus dem eine Kugel donnert, linkerhand Bajonette und ein Käppi. Am Fuß des Gedenksteins steht ein biblisches Zitat aus dem Hebräerbrief. Es ist ebenfalls mit rot nachgezeichnet, aber deutlich schlechter zu lesen:

Et nunc meliorem patriam appetunt

Hebr. 11, 16

Nun aber streben sie zu einem besseren Land. Hebr. 11, 16. Es geht um das himmlische (Vater-)Land.

Eine Grabplatte liegt vor dem Gedenkstein, hier ist die Inschrift witterungsbedingt kaum noch lesbar. Es ist das Grab von Donat François Mazuyer, der im Oktober 1871 in Köln an Typhus starb. Er war 28 Jahre alt. Mazuyers Grab ist das einzige verbliebene Einzelgrab und sein Name der einzige unter den bestatteten Soldaten, den wir erfahren. Anfangs in Einzelgräbern beerdigt, bettete die Friedhofsverwaltung fast alle Gebeine später in Sammelgräber um.

Eines von vielen

Das Grabdenkmal auf dem Kölner Melaten-Friedhof ist eines von vielen deutschlandweit für die französischen Soldaten von 1870/1871. Insgesamt starben um die 17 000 von ihnen in deutscher Kriegsgefangenschaft. Im Friedensvertrag verpflichteten sich das Deutsche Reich und Frankreich, die Kriegsgräber auf eigenem Boden zu bewahren. In knapp 50 deutschen Städten gibt es Grabdenkmäler für französische Soldaten, die vor Ort starben: u.a. in Dresden, Braunschweig, Mannheim, Karlsruhe und Gerolstein.

Die Erinnerungsorte gleichen sich oft bis in die Formulierung der Inschriften, auch der Bibelvers ist wiederkehrend. Das hängt damit zusammen, dass sie aus ein und derselben Hand stammen. Der französische Verein l’Œuvre des tombes et des prières (Werk der Gräber und Gebete) zeichnete für sie verantwortlich.

Das Œuvre war ein katholischer Verein, was wiederum das biblische Zitat erklärt. Der ist insofern bemerkenswert, als mit sehr großer Sicherheit auch jüdische und muslimische Soldaten unter den Toten waren. Frankreich rekrutierte seine Soldaten teilweise aus den Kolonien in Nordafrika. Das Ehrenmal für die deutschen Soldaten von 1870/1871, nur wenige Meter entfernt, ist im Vergleich dazu religionsneutral. Die Erbauer hatten bewusst auf biblische Bezüge verzichtet, um den verstorbenen jüdischen Soldaten gerecht zu werden.

Ich finde außerdem bemerkenswert, dass das Grabdenkmal auf Melaten sowohl in seiner Gestaltung als auch in der Wortwahl wenig militaristisch-patriotisch daherkommt. Kein „Feld der Ehre“, stattdessen ein Bibelzitat, das auf etwas Höheres als das eigene Vaterland verweist. Vielleicht liegt es daran, dass Patriotismus auf fremden Boden und angesichts der Niederlage unpassend erschien. Es ist gut denkbar, dass die Denkmäler in Frankreich, die an die verstorbenen Männer aus den jeweiligen Orten erinnern, anders gestaltet sind, weil sie nach innen wirken sollten. Ein „morts pour la France“ (für Frankreich gestorben) wirkt in Frankreich anders als in Deutschland.

Das Ehrenmal für die deutschen Soldaten auf Melaten ist da aus anderem Holz geschnitzt. Es atmet deutlich den Geist des Siegers. Letztendlich hat der Zahn der Zeit mehr an ihm genagt als an dem französischen Grabmal. Preußischer Militarismus ist nicht mehr en vogue. Über 150 Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg treffen sich beide Denkmäler wieder: Beide Ehrenmale sind weitgehend vergessen und erinnern an einen Krieg, der von späteren überschattet wurde. Sie zeigen uns, wie der Konflikt fernab der Front in Köln greifbar war, sei es durch französische Kriegsgefangene oder deutsche Lazarette. Und nicht zuletzt: Die Soldaten, die gegeneinander kämpfen mussten, liegen nun wenige Meter voneinander entfernt begraben.

Zum Weiterlesen:

Mario Kramp, 1870/71. Franzosen in Köln. Die vergessenen Gefangenen des Deutsch-Französischen Kriegs, Weilerswist 2021.
Schön bebildert und sehr ausführlich zum Thema!

Hier gibt es weitere Infos über das französische Grabdenkmal auf Melaten, das übrigens auch schon einmal Denkmal des Monats war: https://melatenfriedhof.de/erinnerungen-an-den-deutsch-franzoesischen-krieg-auf-melaten/

Zu anderen Städten in Deutschland und ihren Denkmälern für die gestorbenen französischen Kriegsgefangenen von 1870/1871: Braunschweig und Mannheim