Die KVB-Linie 7 legt eine lange Strecke zurück. Aus Zündorf, im Südosten kommend, überquert sie den Rhein auf der Deutzer Brücke und schlängelt sich dann weit nach Westen über die Stadtgrenze Köln hinaus bis nach Frechen. Die Endhaltestelle heißt Frechen-Benzelrath. Unterwegs passiert die Linie 7 die Kreuzung Dürener Straße / Militärringstraße. Dorthin begeben wir uns heute, denn genau an der Kreuzung befindet sich unser Fundstück.

Hier hat gerade eine Linie 7 den Militärring überquert, um kurz danach auf die Dürener Straße abzubiegen. Wir interessieren uns für das unscheinbare kleine Häuschen hinter der 7. Ohne Straßenbahn sieht das Szenario so aus:

Den Verkehr lenken
Unser Fundstück ist eine Verkehrskanzel. Sie besteht aus gelbem Backstein und einem Pultdach mit schräger Dachfläche. Wir sehen außerdem eine Fensterfront in Richtung der Gleise und seitlich zur Militärringstraße. Heute ist sie lustlos mit heruntergezogenen Rollos verdeckt, was sinnbildlich für den etwas traurigen Zustand der Verkehrskanzel steht.

Die Verkehrskanzel wurde 1956/1957 gebaut. Wir finden Verkehrskanzeln in verschiedenen deutschen Großstädten ab den 1920er Jahren. Sie dienten dazu, den Verkehr an vielbefahrenen Kreuzungen zu regeln. Die Kanzeln standen oftmals erhöht und in der Mitte der Kreuzung. Dadurch hatte der Verkehrspolizist, der darin Platz nahm, eine bessere Übersicht über das Geschehen. Der Polizist leitete den Verkehr mit Handzeichen, später übernahmen dies mechanische Signale.
In Köln befanden sich an verschiedenen Plätzen Verkehrskanzeln, darunter am Barbarossaplatz. Eine weitere stand am Rudolfplatz, sie ist in einem Kalender des Historischen Archivs von 2013 abgebildet (Monat Mai). Wenn man sieht, wie erhaben der Polizist über dem Rudolfplatz thront, kann man sich gut vorstellen, wie das Wort Verkehrskanzel entstanden ist…
Mit der Durchsetzung von Ampeln wurden Verkehrskanzeln überflüssig und kaum noch gebaut. Wenn sie gebaut wurden, dann rutschten sie an den Rand der Kreuzung und dienten der Verkehrsbeobachtung. Unser Fundstück aus den 1950er Jahren stammt also schon aus der Zeit des Niedergangs. Wie genau es genutzt wurde, ist offen. Saß wirklich ein Polizist drin oder nicht eher ein Bahnmitarbeiter, der auf den Schrankenbetrieb beim Bahnübergang über die Militärringstraße achtete?
So oder so, vielbefahren war und ist die Kreuzung Dürener Straße / Militärringstraße allemal. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich hier die Gleise teilen. Kommen die Bahnen aus Frechen und haben die Militärringstraße überquert, können sie entweder geradeaus durch den Stadtwald fahren oder rechts Richtung Dürener Straße abbiegen. Das wiederum hat mit der Geschichte der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn zu tun, die wir uns jetzt genauer anschauen!

Die Klüttenbahn
Kleinbahnen klingen unsexy (zumindest für Nicht-Bahnnerds wie mich), waren aber für die Verbindung zwischen Großstädten und ihr Umland extrem wichtig. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verbanden Eisenbahnen die großen Städten des Deutschen Reichs. Am Ende des 19. Jahrhunderts folgte ein Kleinbahnboom, der die Orte rund um Großstädte an diese anschloss. Im dicht besiedelten rheinisch-westfälischen Industriegebiet entstand ein ebenso dichtes Netz an Klein- und Straßenbahnen.
Die Kleinbahnen gingen in der Regel auf kommunale Initiativen zurück. Im Falle der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn wirkte Frechen auf den Bau hin. Er wurde 1891 vom Gemeinderat beschlossen, 1893 fertiggestellt und in den folgenden Jahrzehnten erweitert. Die Züge transportierten sowohl Personen als auch Güter.
Zwischen Frechen und dem Militärring nutzten Personen- und Güterzüge dieselbe Strecke. An der Kreuzung Dürener Straße / Militärring trennten sich ihre Wege. Die Güterzüge fuhren weiter geradeaus durch den Stadtwald, überquerten die Aachener Straße, passierten Braunsfeld und Ehrenfeld, um schließlich in Niehl zu enden. Damit hatte der Güterverkehr direkten Rheinanschluss. Die Personenzüge hingegen bogen an besagter Kreuzung nach rechts ab und folgten der Dürener Straße. Die Endhaltestelle war an der Schaafenstraße /Ecke Rinkenpfuhl beim Neumarkt.
Die Bahnverbindung erlaubt es Frechen, Industriegüter schneller auf die Kölner Märkte zu bringen und mit dem Rheinzugang sogar überregional anzubinden. Die Bahn transportierte vor allem Braunkohle, was ihr den Namen Klüttenbahn einbrachte. Klütten ist ein regionales Wort für Briketts. Aber auch die Steingutindustrie aus Frechen und die Landwirtschaft profitierten von der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn. Die Personenzüge beförderten morgens und abends vor allem Pendler von Frechen nach Köln und zurück.
1904 verkaufte Frechen die Eisenbahn an die Stadt Köln, weil es die Kosten für die Erweiterung und Modernisierung nicht stemmen konnte. In Frechen erfolgte unter anderem die Erweiterung nach Benzelrath. Benzelrath war damals ein eigenständiger Ort und ist heute Teil von Frechen. Ihn an die Eisenbahn anzuschließen, war wegen der umliegenden Brikettfabriken wirtschaftlich attraktiv. Während der Personenverkehr weitgehend stabil blieb, wurde der Güterverkehr immer umfangreicher.
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte der Niedergang des Güterverkehrs, vor allem der Brikettversand ging zurück. Der Personenverkehr wurde 1960 in die KVB eingegliedert. Der Güterverkehr und die Infrastruktur gingen später an die Häfen und Güterverkehr Köln. Diesen Namen finden wir heute noch am Schild auf der Tür der Verkehrskanzel.

Das war die lange, kurze Geschichte der Eisenbahn zwischen Frechen und Köln. Die Eisenbahn hat das Leben der Menschen verändert: Sie konnten sich viel schneller als vorher zwischen dem westlichen Umland und Köln hin- und herbewegen. Die Menschen wurden mobiler und Frechen mutierte noch mehr zur Pendlerstadt. Die Eisenbahn veränderte aber auch das Gesicht Frechens, lohnte es sich doch erst durch die Bahnverbindung, die Braunkohle um Frechen im größeren Maßstab abzubauen. Sie ließ Köln und seine Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes zusammenwachsen. In diese Geschichte reiht sich die Verkehrskanzel ein, als unscheinbares, etwas in die Jahre gekommenes Zeichen der Mobilität.
Zum Weiterlesen:
https://www.rheinische-industriekultur.com/seiten/objekte/orte/koeln/objekte/kfbe.html
Sehr umfangreiche Geschichte und Dokumentation der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn als Teil der rheinischen Industriekultur.
https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-CW-20150613-0001
Die Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn in der Datenbank Kultur.Landschaft.digital. Schöner Überblick.
Außerdem sei auf diesen liebevollen KVB-Blogartikel über die Linie 7 verwiesen, der u.a. in die Untiefen von EBO und BOStrab entführt.































