Köln wird mobil. Einmal Frechen und zurück!

Die KVB-Linie 7 legt eine lange Strecke zurück. Aus Zündorf, im Südosten kommend, überquert sie den Rhein auf der Deutzer Brücke und schlängelt sich dann weit nach Westen über die Stadtgrenze Köln hinaus bis nach Frechen. Die Endhaltestelle heißt Frechen-Benzelrath. Unterwegs passiert die Linie 7 die Kreuzung Dürener Straße / Militärringstraße. Dorthin begeben wir uns heute, denn genau an der Kreuzung befindet sich unser Fundstück.

Kreuzung Dürener Straße / Militärringstraße. Links ist das Ortsschild Köln Lindenthal zu sehen.

Hier hat gerade eine Linie 7 den Militärring überquert, um kurz danach auf die Dürener Straße abzubiegen. Wir interessieren uns für das unscheinbare kleine Häuschen hinter der 7. Ohne Straßenbahn sieht das Szenario so aus:

Den Verkehr lenken

Unser Fundstück ist eine Verkehrskanzel. Sie besteht aus gelbem Backstein und einem Pultdach mit schräger Dachfläche. Wir sehen außerdem eine Fensterfront in Richtung der Gleise und seitlich zur Militärringstraße. Heute ist sie lustlos mit heruntergezogenen Rollos verdeckt, was sinnbildlich für den etwas traurigen Zustand der Verkehrskanzel steht.

Die Verkehrskanzel wurde 1956/1957 gebaut. Wir finden Verkehrskanzeln in verschiedenen deutschen Großstädten ab den 1920er Jahren. Sie dienten dazu, den Verkehr an vielbefahrenen Kreuzungen zu regeln. Die Kanzeln standen oftmals erhöht und in der Mitte der Kreuzung. Dadurch hatte der Verkehrspolizist, der darin Platz nahm, eine bessere Übersicht über das Geschehen. Der Polizist leitete den Verkehr mit Handzeichen, später übernahmen dies mechanische Signale.

In Köln befanden sich an verschiedenen Plätzen Verkehrskanzeln, darunter am Barbarossaplatz. Eine weitere stand am Rudolfplatz, sie ist in einem Kalender des Historischen Archivs von 2013 abgebildet (Monat Mai). Wenn man sieht, wie erhaben der Polizist über dem Rudolfplatz thront, kann man sich gut vorstellen, wie das Wort Verkehrskanzel entstanden ist…

Mit der Durchsetzung von Ampeln wurden Verkehrskanzeln überflüssig und kaum noch gebaut. Wenn sie gebaut wurden, dann rutschten sie an den Rand der Kreuzung und dienten der Verkehrsbeobachtung. Unser Fundstück aus den 1950er Jahren stammt also schon aus der Zeit des Niedergangs. Wie genau es genutzt wurde, ist offen. Saß wirklich ein Polizist drin oder nicht eher ein Bahnmitarbeiter, der auf den Schrankenbetrieb beim Bahnübergang über die Militärringstraße achtete?

So oder so, vielbefahren war und ist die Kreuzung Dürener Straße / Militärringstraße allemal. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich hier die Gleise teilen. Kommen die Bahnen aus Frechen und haben die Militärringstraße überquert, können sie entweder geradeaus durch den Stadtwald fahren oder rechts Richtung Dürener Straße abbiegen. Das wiederum hat mit der Geschichte der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn zu tun, die wir uns jetzt genauer anschauen!

Blick zum Stadtwald geradeaus und zur Dürener Straße rechts. Die Verkehrskanzel ist rechterhand.

Die Klüttenbahn

Kleinbahnen klingen unsexy (zumindest für Nicht-Bahnnerds wie mich), waren aber für die Verbindung zwischen Großstädten und ihr Umland extrem wichtig. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verbanden Eisenbahnen die großen Städten des Deutschen Reichs. Am Ende des 19. Jahrhunderts folgte ein Kleinbahnboom, der die Orte rund um Großstädte an diese anschloss. Im dicht besiedelten rheinisch-westfälischen Industriegebiet entstand ein ebenso dichtes Netz an Klein- und Straßenbahnen.

Die Kleinbahnen gingen in der Regel auf kommunale Initiativen zurück. Im Falle der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn wirkte Frechen auf den Bau hin. Er wurde 1891 vom Gemeinderat beschlossen, 1893 fertiggestellt und in den folgenden Jahrzehnten erweitert. Die Züge transportierten sowohl Personen als auch Güter.

Zwischen Frechen und dem Militärring nutzten Personen- und Güterzüge dieselbe Strecke. An der Kreuzung Dürener Straße / Militärring trennten sich ihre Wege. Die Güterzüge fuhren weiter geradeaus durch den Stadtwald, überquerten die Aachener Straße, passierten Braunsfeld und Ehrenfeld, um schließlich in Niehl zu enden. Damit hatte der Güterverkehr direkten Rheinanschluss. Die Personenzüge hingegen bogen an besagter Kreuzung nach rechts ab und folgten der Dürener Straße. Die Endhaltestelle war an der Schaafenstraße /Ecke Rinkenpfuhl beim Neumarkt.

Die Bahnverbindung erlaubt es Frechen, Industriegüter schneller auf die Kölner Märkte zu bringen und mit dem Rheinzugang sogar überregional anzubinden. Die Bahn transportierte vor allem Braunkohle, was ihr den Namen Klüttenbahn einbrachte. Klütten ist ein regionales Wort für Briketts. Aber auch die Steingutindustrie aus Frechen und die Landwirtschaft profitierten von der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn. Die Personenzüge beförderten morgens und abends vor allem Pendler von Frechen nach Köln und zurück.

1904 verkaufte Frechen die Eisenbahn an die Stadt Köln, weil es die Kosten für die Erweiterung und Modernisierung nicht stemmen konnte. In Frechen erfolgte unter anderem die Erweiterung nach Benzelrath. Benzelrath war damals ein eigenständiger Ort und ist heute Teil von Frechen. Ihn an die Eisenbahn anzuschließen, war wegen der umliegenden Brikettfabriken wirtschaftlich attraktiv. Während der Personenverkehr weitgehend stabil blieb, wurde der Güterverkehr immer umfangreicher.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte der Niedergang des Güterverkehrs, vor allem der Brikettversand ging zurück. Der Personenverkehr wurde 1960 in die KVB eingegliedert. Der Güterverkehr und die Infrastruktur gingen später an die Häfen und Güterverkehr Köln. Diesen Namen finden wir heute noch am Schild auf der Tür der Verkehrskanzel.

Ein tierischer Wächter vor der Verkehrskanzel

Das war die lange, kurze Geschichte der Eisenbahn zwischen Frechen und Köln. Die Eisenbahn hat das Leben der Menschen verändert: Sie konnten sich viel schneller als vorher zwischen dem westlichen Umland und Köln hin- und herbewegen. Die Menschen wurden mobiler und Frechen mutierte noch mehr zur Pendlerstadt. Die Eisenbahn veränderte aber auch das Gesicht Frechens, lohnte es sich doch erst durch die Bahnverbindung, die Braunkohle um Frechen im größeren Maßstab abzubauen. Sie ließ Köln und seine Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes zusammenwachsen. In diese Geschichte reiht sich die Verkehrskanzel ein, als unscheinbares, etwas in die Jahre gekommenes Zeichen der Mobilität.

Zum Weiterlesen:

https://www.rheinische-industriekultur.com/seiten/objekte/orte/koeln/objekte/kfbe.html
Sehr umfangreiche Geschichte und Dokumentation der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn als Teil der rheinischen Industriekultur.

https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-CW-20150613-0001
Die Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn in der Datenbank Kultur.Landschaft.digital. Schöner Überblick.

Außerdem sei auf diesen liebevollen KVB-Blogartikel über die Linie 7 verwiesen, der u.a. in die Untiefen von EBO und BOStrab entführt.

Unter dem Hügel liegt die Stadt

Es gibt ein Kinderbuch, in dem eine Maus und ein Elefant Verstecken spielen. Es läuft nicht gut für den Elefanten, bis er die Idee hat, sich anzumalen und als Hügel zu verstecken. Unser heutiges Fundstück ist der Elefant aus dem Kinderbuch: ein unscheinbarer Hügel im Grüngürtel, unter dem sich Geschichte verbirgt, nämlich Trümmer aus dem Zweiten Weltkrieg.

Es geht um den Aachener Berg im Grüngürtel, am südlichen Ende des Aachener Weihers. Nähern wir uns dem Aachener Berg aus dem Süden über den Alphons-Silbermann-Weg, von der Universität kommend. Wir überqueren die Bachemer Straße an der vielbevölkerten Ampel und blicken auf den Aachener Berg (oder eher Hügel) in Gestalt einer sanften Erhebung.

Der Aachener Berg von der Bachemer Straße aus

Während der Mittelstreifen des Hangs mit Wiese bedeckt ist, befinden sich linker- und rechterhand Bäume. Offiziell heißt dieser Teil des Grüngürtels seit 2001 Hiroshima-Nagasaki-Park.

Der Hiroshima-Nagasaki-Park, Blick von der Bachemer Straße

Erklimmt man den Hügel, so erkennt man, dass es eigentlich eine Hügellandschaft mit zwei unterschiedlich großen Hügeln und einer mittigen Talmulde ist. Der höchste Punkt liegt mit 25 Metern über dem Niveau der Aachener Straße im Osten, nahe des Bahndamms. Unmittelbar an den Hügel schließt sich im Norden der Aachener Weiher an.

Blick vom Hügel nach Osten. Im Norden ist der Aachener Weiher zu erkennen.

Während der Aachener Weiher bereits in den 1920er Jahren angelegt wurde, ist der Aachener Berg erst nach 1945 entstanden. Wir stehen hier auf den Trümmern der Kölner Altstadt.

30 Millionen Kubikmeter Trümmer

1945 war die Kölner Altstadt durch alliierte Bombenangriffe zerstört, das restliche Stadtgebiet großteils verwüstet. Mit der Rückkehr der Bevölkerung und dem Wiederaufbau stand Köln wie viele andere Städte vor der Frage: Wohin mit dem ganzen Schutt?

Insgesamt fielen in Köln etwa 30 Millionen Kubikmeter Schutt infolge des Krieges an, davon allein 11,5 Millionen in der Altstadt. Während in anderen Städten die Trümmer als Baumaterialien Wiederverwendung fanden, war dies in Köln kaum der Fall. Sand und Kies waren als günstige Baustoffe entlang des Rheins ausreichend vorhanden.

Trümmerberge entstehen

Zuerst landeten die Trümmer beim Aufräumen überall, wo Platz war, u.a. auf dem Maifeld. Das Maifeld war ein Aufmarschplatz, den die Nazis im Grüngürtel südlich des Aachener Weihers für Paraden angelegt hatten. Er sollte 200 000 Menschen Platz bieten. Nun verschwand das Maifeld unter dem Schutt des Krieges, den die Nazis verursacht hatten.

Anfang der 1950er Jahre schlug eine Runde um Kurt Schönbohm, Leiter des Grünflächenamtes, vor, Trümmerbeseitigung und Stadtgestaltung zusammenzubringen. Es sollten an verschiedenen Stellen begrünte Trümmerlandschaften entstehen. Auf diese Weise könnte der Schutt verräumt werden und gleichzeitig kleine Hügel Einzug halten im Stadtbild. Elf Orte wurden auserkoren, darunter der Rand des Beethovenparks in Sülz und zwei Bereiche im Grüngürtel. Es handelte sich um das Gelände östlich der Herkulesstraße, heute als Herkulesberg bekannt, und das ehemalige Maifeld.

So wurde in den Folgejahren der Schutt per LKW an das Südende des Aachener Weihers angeliefert. Die Planung sah sanfte Hügel mit kleinen Terrassen vor, um spätere Erdbewegungen zu vermeiden. Die Terrassen sind heute vor allem aus der Blickrichtung des Aachener Weihers gut erkennbar.

Eine offene Frage war, wie die Anpflanzung erfolgen sollte. Es war schlicht nicht genug Erde vorhanden, um den Schutt zu bedecken. Schließlich entschieden sich Schönbohm & Co., direkt in die Trümmer zu pflanzen. Sie hofften darauf, dass der Altstadtschutt mit seinem hohen Lehm- und Kalkgehalt einen fruchtbaren Boden bieten würde. Rückblickend berichtete Schönbohm:

„Diese Methode (…) bewährte sich schließlich, und nach ein paar Jahren hatten sich die Schutthaufen zunehmend in einen grünen Pelz gehüllt, der von Jahr zu Jahr dichter und höher wurde.“

Kurt Schönbohm, Köln: Grünanlagen 1945-1975, Köln 1988, S. 31.

Der Aachener Berg heute

Die Hoffnung der Planer, dass die Kölner den grün bepelzten Trümmerberg am Aachener Weiher in Besitz nehmen würden, bewahrheitete sich. Heute bevölkern im Frühling und Sommer Spaziergänger, Familien, Picknicker, Sonnenanbeter, Hundehalter und Nachteulen den Ort rund um die Uhr. Jenseits der hügeligen Form, die so gar nicht zum Kölner Relief passen will, erinnert nichts daran, dass dies historischer Boden ist.

Wie es wohl im Hügel selbst aussieht? Erkennt man noch einzelne Trümmer, zum Beispiel Ziegelsteine? Oder ist alles so verdichtet und zerbröselt, dass keine Einzelteile zu unterscheiden sind? Es wäre spannend, einen Tunnel zu bohren und einmal hineinzuschauen. Eine verrückte Vorstellung, dass dort Häuser, die über Jahrhunderte Menschen beheimatet haben, begraben liegen.

Der Aachener Berg ist schließlich ein stummes Zeugnis der riesigen baulichen Veränderungen Kölns nach dem Zweiten Weltkrieg. Eines der Bücher, das ich für diesen Blogbeitrag genutzt habe, trägt den passenden Titel „Das neue Köln“. Es stammt von 1950. Darin stellen Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner ihre Ideen für die Umgestaltung der Stadt vor. Sie reichen von grün bepelzten Trümmerbergen bis hin zum Projekt eines Großflughafens, von Problemen des Kraftwagenverkehrs (manche Themen bleiben aktuell…) bis zu Kirchenbauten.

Sicher schmerzte der Anblick der zerstörten Stadt viele, gleichzeitig ist in dem Buch eine gewisse Aufbruchsstimmung zu greifen. Was für eine Möglichkeit, hier etwas ganz Neues zu schaffen! Der Aachener Berg war dabei eine eher unauffällig-zeitlose städtische Veränderung nach 1945. Ich bin gespannt auf weitere Zeugnisse des Wiederaufbaus, weitere Fundstücke des „neuen Köln“!

Zum Weiterlesen:

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-315843
Eintrag zum Hiroshima-Nagasaki-Park in der Datenbank Kultur.Landschaft. Digital. Einige Hintergründe zum Maifeld, dann Schwerpunkt auf der Namensgebung in Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki.

Kurt Schönbohm, Köln: Grünanlagen 1945-1975, Köln 1988, S. 31.
Autobiografischer Rückblick des früheren Leiters des Kölner Grünflächenamtes mit kleinem Kapitel über die Trümmerberge.

Rudolf Schwarz, Das neue Köln. Ein Vorentwurf, Köln 1950.
Rudolf Schwarz war einer der Architekten, die den Wiederaufbau Kölns maßgeblich prägten, vor allem im kirchlichen Bereich. Das Buch enthält ein Kapitel eines Gartenarchitekten über „Trümmerberge und ihre Begrünung“.

Die vielen Leben der Edith Stein

Edith Stein ist die vielleicht stolpersteinreichste Frau Kölns. Den ersten habe ich bin bei meinem Spaziergang durch das Pantaleonsviertel gefunden und bin so auf sie aufmerksam geworden. Zwei weitere Stolpersteine erinnern in Lindenthal und Hohenlind an sie. Außerdem gibt es ein Edith-Stein-Denkmal am Börsenplatz mitten in der Innenstadt. Sie hat also Spuren hinterlassen. Wer war Edith Stein? Eine kluge, beeindruckende Frau, für mich schwer greifbar, mit einer traurigen Geschichte. Machen wir uns auf die Suche in Köln und darüber hinaus!

Wissenschaft und Glauben

Edith Stein kommt 1891 in Breslau als Kind einer jüdisch-orthodoxen Familie auf die Welt. Ihr Vater stirbt wenige Jahre nach ihrer Geburt. Nach seinem Tod führt die Mutter das familiäre Holzgeschäft fort, vielleicht sogar erfolgreicher als zuvor. Edith genießt eine sehr gute Schulbildung, nicht selbstverständlich für Mädchen zu der Zeit, und legt das Abitur mit Auszeichnung ab.

Sie beginnt 1911 ein Lehramtsstudium in den Fächern Germanistik, Geschichte und Philosophie in Breslau. Ihre Leidenschaft gilt dabei der Philosophie. Deshalb wechselt sie nach Göttingen und Freiburg, um bei dem Philosophen Edmund Husserl zu studieren. Bei ihm promoviert sie 1916 mit Bestnote. Auch hier: Eine promovierte Frau, eine Wissenschaftlerin, ist Anfang des 20. Jahrhunderts alles andere als alltäglich. Mehrfach bemüht sie sich im Anschluss um eine Habilitation, um als Professorin arbeiten zu können. Doch eine Karriere in der Wissenschaft bleibt ihr als Frau verwehrt. Es wirkt wie ein wie ein Echo aus vergangenen Zeiten, wenn ihr Doktorvater Edmund Husserl über sie sagt:

„Sollte die akademische Laufbahn für Damen eröffnet werden, so könnte ich sie an allererster Stelle und aufs wärmste für die Zulassung zur Habilitation empfehlen.“

zitiert nach: Elisabeth Endres, Edith Stein. Christliche Philosophin und jüdische Märtyrerin, München 1987, S. 151.

Sie verlässt die Universität, wird aber weiterhin wissenschaftlich arbeiten. In diese Zeit zu Beginn der 1920er Jahre fällt auch ihr Übertritt zum Katholizismus. Die Autobiografie Teresas von Ávila, der Gründerin des Karmelitinnen-Ordens, spielt die zentrale Rolle für die Entscheidung der zuvor atheistischen Edith Stein, sich taufen zu lassen. Die genauen Umstände sind schwer nachzuvollziehen, umso mehr, weil es sich um einen sehr persönlichen und inneren Prozess handelt. Hinzu kommt, dass der Übertritt zum Katholizismus bei einer Heiligen wie Edith Stein schnell mystifiziert und in ein Gesamtnarrativ eingepasst wird. So oder so, die Taufe findet 1922 in Bergzabern in der Pfalz statt.

In den 1920er Jahren arbeitet Edith Stein in einer Schule und einem Lehrerinnenseminar der Dominikanerinnen in Speyer. Außerdem geht sie auf Vortragsreisen und spricht über philosophische und religiöse Themen sowie Frauenfragen.

Schwester Teresia Benedicta a Cruce

Nach dem Regierungsantritt der Nazis im Winter 1933 erlebt Edith Stein, wie sich das gesellschaftliche Klima ändert. Juden werden diskriminiert; auch sie selbst ist, obwohl konvertiert, davon beruflich betroffen. Edith Stein protestiert beim Papst in Rom gegen die Ausgrenzung der Juden, der nicht auf ihre Eingabe reagiert.

Im Frühjahr 1933 entscheidet sich Edith Stein, einen lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen und ins Kloster zu gehen. Sie tritt im Herbst 1933 in den Karmel Maria vom Frieden in Köln ein. Dabei nimmt sie den Namen Schwester Teresia Benedicta a Cruce an, Schwester Teresia durch das Kreuz Gesegnete. Zwischen 1933 und 1938 lebt Edith Stein im Kölner Karmel an der Dürener Straße 89, wo heute ein Stolperstein an sie erinnert.

Stolperstein vor der Dürener Straße 89 in Lindenthal

In ihrer Zeit als Konventualin, als Mitglied der Ordensgemeinschaft, lebt sie gemäß der Ordensregeln: Schweigen, Beten, Phasen allein in der eigenen Zelle und Stunden in Gemeinschaft. Außerdem schreibt sie biographische und wissenschaftliche Texte. Sie lebt zurückgezogen, ihre öffentlichen Auftritte und Vorträge gehören der Vergangenheit an. Ihre Schwester Rosa folgt ihr 1936 nach Köln, lässt sich auch taufen und tritt in den Karmel ein. Vor dem Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind sind zwei Stolpersteine in den Boden eingelassen, um der Taufe Rosa Steins in der Kapelle des Krankenhauses zu gedenken.

Stolpersteine vor der Werthmannstraße 1 in Hohenlind

1938 wird die Luft in Nazideutschland für Edith Stein noch dünner. Im Zuge einer Abstimmung wird offenbar, dass sie, da in einer jüdischen Familie geboren, nicht wählen darf. Ob dies eine gezielte Indiskretion ihrer Priorin (Vorsteherin ihres Ordens) ist oder ob die Priorin nur ausspricht, was ohnehin bekannt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eben jene Priorin hilft Edith Stein, Ende 1938 zu fliehen. Sie geht in den Karmel ins niederländische Echt. Ein Stolperstein erinnert heute vor der Kirche Maria vom Frieden an das letzte Gebet Edith Steins vor ihrer Flucht.

Stolperstein Vor den Siebenburgen 6, Altstadt-Süd

Vor ihrer Flucht entsteht das bekannteste, fast ikonische Bild von ihr. Es ist ein Passbild und zeigt sie im strengen Habit einer Karmelitin.

Schwester Teresia Benedicta a Cruce ca. 1938/1939. Gemeinfrei

Rosa Stein gelingt nach Kriegsbeginn die Flucht aus Köln, sie kommt ebenfalls in das Kloster nach Echt. Für beide Schwestern bedeutet es auf Dauer keine Sicherheit. Die Nazis überfallen 1940 die Niederlande und besetzen das Land. Im August 1942 werden Edith und Rosa Stein von der Gestapo im Kloster verhaftet. Die Nazis deportieren sie nach Auschwitz und ermorden sie am 9. August 1942 in den Gaskammern.

Nachleben

Die Kölner Karmelitinnen beginnen bald nach Kriegsende, Material von und über Edith Stein zusammenzutragen. Es wird der Grundstock für das Edith Stein-Archiv, das heute im Karmel im Pantaleonsviertel angesiedelt ist. Ein Gutteil ihrer philosophischen Schriften wird erst nach 1945 veröffentlicht. Neben der wissenschaftlichen schreitet auch ihre religiöse Deutung voran. Papst Johannes Paul II. spricht sie im alten Müngersdorfer Stadion in Köln 1987 selig. Die Heiligsprechung folgt 1998 in Rom.

Heute gibt es unendlich viele Biographien Edith Steins und weitere Abhandlungen, die sich aus philosophischer, religiöser oder soziologischer Perspektive mit ihr befassen. Viele Städte haben Straßen und Schulen nach ihr benannt oder Denkmäler für sie errichtet. Neben den Stolpersteinen gibt es auf dem Börsenplatz in Köln ein Edith-Stein-Denkmal. Es wurde 1999, also nach der Heiligsprechung, errichtet und steht vor dem Priesterseminar.

Edith-Stein-Denkmal am Börsenplatz
Die drei Denkmalsfiguren

Das Denkmal zeigt drei Frauen aus drei verschiedenen Lebensphasen Steins. Rechts sitzend ist die junge Edith Stein, auf den Davidstern gestützt, der ihre jüdische Herkunft symbolisiert. Dahinter steht die Philosophin Edith Stein, die in der Mitte gespalten ist, um ihr Streben nach Wahrheit und die Sinnsuche zu verdeutlichen. Schließlich ist die letzte Frau die Nonne Schwester Teresia Benedicta a Cruce. Sie trägt ihr namensgebendes Kreuz und schreitet auf eine Rampe zu. Daneben sind Schuhe als Sinnbild für die viele Menschen, die wie Edith Stein den Gaskammern in Auschwitz gestorben sind.

Die Rampe mit Fußabdrücken und Häftlingsnummern

Ich habe bei meinen Recherchen über Edith Stein nicht nur Stolpersteine entdeckt und ein Denkmal, an dem ich vorher achtlos vorbeigeradelt bin, sondern auch eine extreme Frauenbiographie des 20. Jahrhunderts. Eine sehr kluge Frau, der der Weg zur Professur verwehrt bleibt. Eine Atheistin, die sich dem katholischen Glauben zuwendet. Eine Katholikin, die beim Papst gegen die Diskriminierung der Juden protestiert. Und schließlich eine Nonne, die ihren Tod als Willen Gottes akzeptiert und ihn „mit Freuden“ entgegennimmt. Diese Worte stammen aus ihrem Testament aus dem Jahr 1939. Edith Stein machte sich keine Illusionen über die Gefahr, in der sie schwebte, auch wenn sie den Nazis vorläufig entkommen war.

Ein Teil ihrer Biographie ist für mich schwer greifbar. Das betrifft ihre starke Hinwendung zur Religion und die spätere Entscheidung, Nonne zu werden. Dieser Abschied aus dem weltlichen Leben ist ein so großer Schritt von der vormals atheistischen Wissenschaftlerin. Zugleich ist sicher, dass sie diese Schritte aus eigenem Willen heraus tat. Wie sollen wir, mit 100 Jahren Abstand, darüber urteilen? So kann ich nur feststellen, dass mir dieser Teil ihres Lebens fremd erscheint, wie so viele andere Dinge, die Teil der Lebensrealität Edith Steins waren, es aber für mich heute nicht sind.

Es bleibt eine Tragik ihres Lebens, dass der Glaubensübertritt sie nicht vor den Nazis schützte. Eine weitere Tragik liegt darin, dass der Vatikan, der von ihr und vielen anderen Hinweise auf die Judenverfolgung bekommen hatte, nichts dagegen unternahm.

Zum Weiterhören und -lesen:

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-edith-stein-philosophin-und-karmelitin-geburtstag–100.html
WDR-Zeitzeichen über Edith Stein. Detaillierte biographische Informationen, eine Freude zu hören (sagt der Zeitzeichen-Fan!).

Elisabeth Endres, Edith Stein. Christliche Philosophin und jüdische Märtyrerin, München 1987.
Ältere Biographie Edith Steins, mit erkennbarer (bisweilen übertriebener?) Sympathie für sie. Ausführliche Erläuterungen ihrer philosophischen und religiösen Werke.

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343415
Beschreibung des Edith-Stein-Denkmals am Börsenplatz mit biographischen Infos und Interpretation des Denkmals.

Das Kloster und die autofreundliche Stadt

Köln ist immer für Überraschungen gut. Keine fünf Minuten vom lärmenden Barbarossaplatz entfernt versteckt sich ein Kloster, dessen Bewohnerinnen noch heute einen Großteil ihres Tages mit Schweigen verbringen: der Karmel Maria vom Frieden.

Ich habe das Kloster bei einem kleinen Spaziergang durch das Pantaleonsviertel entdeckt. Ausgangspunkt war der Barbarossaplatz, der hässlichste Platz Kölns, bei dem schwer vorstellbar ist, dass hier früher ein Springbrunnen stand. Verlässt man den Platz Richtung Nordosten, dann gelangt man in ein überraschend heimeliges und wohnliches Straßengewirr rund um die Kirche St. Pantaleon: Friedrichstraße, Michaelstraße, Am Pantaleonsberg usw.

Das Pantaleonsviertel gehört zur Altstadt-Süd, der historischen Stadtmitte Kölns. Es lag innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern und ist somit seit über 1000 Jahren besiedelt. Ein wenig ahnt man das heute noch, wenn man durch das Veedel geht. Die Häuser stehen dicht, die Straßen sind schmal, fast nur Einbahnstraßen. Der Kontrast zum Barbarossaplatz mit seinen Hochhäusern, der komplexen (nett gesagt!) Verkehrsführung und dem Nebeneinander von Autos, Straßenbahnen, Fahrradfahrern und Fußgängern könnte nicht größer sein.

Als Wahlkölnerin habe ich mich daran gewöhnt, auf Schritt und Tritt Kirchen zu begegnen. St. Pantaleon hat mich bei meinem Spaziergang also nicht überrascht. Einige Meter weiter auf der Straße Vor den Siebenburgen (schöner Name!) bin ich wiederum auf diesen Kirchenbau gestoßen:

Die Klosterkirche Maria vom Frieden

Die Kirche gehört zu einem größeren Gebäudekomplex, der hier zu erkennen ist:

Der Karmel Maria vom Frieden, links die Klosterkirche

Bei aller Gewöhnung an Kirchen, diese hier hat mich dann doch überrascht, vielleicht weil sie so barock anmutet. Als neugierige Spaziergängerin habe ich mich schlau gemacht und herausgefunden, dass der ganze Gebäudekomplex ein Kloster ist, der Karmel Maria vom Frieden. Aber was genau ist ein Karmel?

Der Orden der Karmelitinnen

Ein Karmel ist ein Kloster, das zum Orden der Karmelitinnen gehört. Der Name Karmel leitet sich vom Gebirge Karmel im heutigen Israel ab. Dort wurde der Orden während der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert gegründet. Der weibliche Zweig der Karmelitinnen bildete sich im 15. Jahrhundert.

Der Orden hat einen eremitischen Ursprung, der ein gottgeweihtes Leben in Abgeschiedenheit von anderen Menschen vorsieht. Heute noch gehören Schweigen und Phasen in der Einsamkeit der eigenen Zelle zum Alltag der Karmelitinnen. Das gilt auch für die Frauen, die jetzt den Karmel Maria vom Frieden bewohnen. Es ist eine kleine Gemeinschaft, die dort betet und arbeitet. Sie betreiben einen Klosterladen und sogar eine Website (siehe unten).

Auf der Website berichten sie auch von wechselhaften Geschichte des Karmels in Köln. Im 17. Jahrhundert gegründet und errichtet, lebten hier bis 1802 Karmelitinnen. Dann lösten die wenig kirchenfreundlichen Franzosen den Konvent im Zuge der napoleonischen Besatzung auf. Die Kirche wurde zur Pfarrkirche. Die Karmelitinnen siedelten sich 1899 wieder in Köln an. Allerdings zogen sie nach Lindenthal, in die Dürener Straße 89. An das Gebäude erinnert heute nicht mehr viel, es wurde im Krieg vollständig zerstört. Auch der Karmel im Pantaleonsviertel erlitt Kriegszerstörungen, die Kirche brannte komplett aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die Schwestern ihn auf und zogen 1949 wieder ein.

Beten in der autofreundlichen Stadt

Während die Karmelitinnen wieder an ihre alte Wirkungsstätte zurückkehrten, veränderte sich auch die Umgebung des Pantaleonsviertels. Eine der großen Veränderungen war die Nord-Süd-Fahrt. Sie ist eine Verkehrsachse in – der Name lässt es erahnen – Nord-Süd-Richtung durch die Altstadt. Die Strecke wurde in den 1960er Jahren Stück für Stück für den Verkehr freigegeben. Beim Bau wurden zusammenhängende Veedel im historischen Stadtkern geopfert, um dem motorisierten Verkehr Platz zu machen. Die Nord-Süd-Fahrt atmet also in jederlei Hinsicht den fürchterlichen Geist der autofreundlichen Stadt. Das südlichste Teilstück der Strecke bildet die Ulrichgasse, die etwa 100 Meter entfernt vom Karmel entlangführt.

Der Konvent ist somit heute von drei Hauptverkehrsachsen umgeben. Im Süden führt die B 9 über die Ringe, im Osten die Nord-Süd-Fahrt, im Norden und Westen, vom Barbarossaplatz kommend, die B 55. Auf einer Karte sieht das Pantaleonsviertel fast aus wie eine Insel im Meer vielbefahrener Straßen. Man kann etwas melancholisch sein ob dieser Zerstörung alter Stadtstrukturen und dem Platz, den wir den Autos gegeben haben. Auch das ist aber natürlich ein Teil der Kölner Geschichte, ob er uns nun gefällt oder nicht.

So oder so: Wenn ihr euch mal zum Barbarossaplatz verirrt, nehmt euch etwas Zeit und spaziert durch das Pantaleonsviertel. Es gibt ein Stück altes Köln und mit dem Karmel ein Kloster mitten im Wohngebiet sowie davor einen Stolperstein zu entdecken. Er ehrt Edith Stein, eine heiliggesprochene Karmelitin. Doch das ist ein neues Fundstück und eine andere Geschichte…

Zum Weiterlesen:

http://www.karmelitinnen-koeln.de
Website der Kölner Karmelitinnen mit Informationen zur Geschichte, zum Orden und Fotos vom Karmel.
Joachim Feldes, Auf den Spuren Edith Steins durch Köln, Wien 2020.
Ein Pilgerführer durch Köln auf den Spuren der bekanntesten Karmelitin Edith Stein. Sehr spezielle religiöse Lektüre.


Das Kriegerdenkmal in Kalk

Was findet die neugierige Spaziergängerin auf dem alten Friedhof Kalk? Ein mysteriöses Kriegerdenkmal, bei dem der militärische Bezug klar, aber der konkrete Zweck lange nicht mehr ersichtlich ist. Schauen wir uns das Ganze genauer an.

Wir betreten den alten Friedhof von der Kapellenstraße über den ersten Eingang, passieren vereinzelte Grabstätten und orientieren uns am höchsten (und einzigen) Denkmal im Park. Es steht etwas hinter Bäumen versteckt mittig im Park.

Das Kriegerdenkmal auf dem alten Friedhof Kalk

Lorbeer, Kanonen und ein kopfloser Adler

Das Denkmal steht auf drei Stufen und einem quadratischen Unterbau. Auf dem Unterbau ruht ein Quader, der auf zwei von vier Seiten folgendes Motiv trägt: einen Kranz, zur Hälfte aus Eichenlaub und zur Hälfte aus Lorbeer, mit einem Schild in der Mitte, auf dem keine Inschrift mehr erkennbar ist. Auf den beiden „leeren“ Seiten muss früher auch etwas gewesen sein, zumindest sieht die Oberfläche bearbeitet aus.

Das Kriegerdenkmal aus der Nähe

Auf diesem ersten Quader sitzt, etwas zurückgesetzt hinter Säulen, ein weiterer Quader. Er ist auf allen vier Seiten blank, wobei Befestigungen davon zeugen, dass hier dereinst Tafeln befestigt waren. Über den Tafeln erkennen wir, fast am besten erhalten, auf allen vier Seiten militärische Insignien wie Kanonenrohre und Säbel. Mein persönlicher Favorit ist der Adler mit weit geöffneten Flügeln, der seinen Kopf verloren hat und nun eher wie ein gerupftes Hühnchen aussieht.

Trauriger kopfloser Adler

Den oberen Abschluss bildet ein Steinpfeiler, auf zwei Seiten mit Siegerkranz und großen (Palm-?) Blättern dekoriert, mit einem darauf liegenden Helm. Der Helm versteckt sich im Moment in einer Holzkiste und kommt sicher im Frühling wieder zum Vorschein.

Seitenansicht des Kriegerdenkmals

Unser Fundstück hat einen klaren Kriegsbezug. Die militärische Ehrung spricht aus den gewundenen Kränzen aus Eichenlaub und Lorbeer. Auch die Kanonenrohre und Säbel kamen schon zur Sprache. Doch wer sollte hier geehrt werden? Auf der nach 1945 verschwundenen Marmorplatte auf dem unteren Steinquader stand:

Errichtet
zur Erinnerung
an die siegreichen Feldzüge
der Jahre 1864, 66, 70/71
von dem kameradschaftlichen
Krieger-Verein
zu Kalk

Unpolitisches Gedenken?

Tatsächlich ist dieses Fundstück der Bruder des Mülheimer Kriegerdenkmals, dessen Überreste nun auf dem Melaten-Friedhof zu sehen sind. So wie Mülheim, bis 1914 eine eigene Stadt, seiner Toten von 1866 und 1870/1871 gedachte, tat dies auch Kalk, bis 1910 eigenständig. Die verteilten Kriegerdenkmäler auf dem heutigen Stadtgebiet zeugen also auch von alten Gemeindestrukturen und vom Zusammenwachsen Kölns.

Was verbirgt sich hinter dem Kameradschaftlichen Kriegerverein zu Kalk? Kriegervereine waren ursprünglich Veteranenvereine, in denen sich heimgekehrte Soldaten der preußischen Kriege gegen Dänemark (1864), gegen Österreich (1866) und gegen Frankreich (1870/1871) zusammenfanden. Sie pflegten das gesellige Beisammensein, organisierten Beerdigungen von Kameraden und nahmen an patriotischen Umzügen teil. Schnell erweiterte sich die Zielgruppe der Kriegervereine auf alle wehrpflichtigen Männer und der Veteranencharakter trat in den Hintergrund. Unpolitisch waren die Vereine durchaus nicht. Sie zeigten sich militaristisch-kaisertreu und richteten sich explizit gegen die Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung.

Auch der Kameradschaftliche Kriegerverein zog vor allem Mitglieder aus wohlhabenden Kreisen an. 1883 bemühten sie sich beim Kalker Stadtrat um einen Platz auf dem Friedhof für ein Kriegerdenkmal. 1886 wurde der Grundstein für das Denkmal gelegt, 1888 war es fertig. Viele Denkmalteile sind heute verschwunden, etwa die vier Tafeln mit den Namen der Kalker Toten. Ebenfalls verschwunden ist ein Engel, der ursprünglich anstelle des heutigen Helms den Abschluss bildete. Noch eine Figur, die in den Nachkriegswirren abhanden gekommen ist?

In diesem Fall lag sogar noch weniger Zeit zwischen Denkmalweihe und dem Verlust. Schon in den 1910er Jahren, etwa 25 Jahre nach der Fertigstellung, hatte der Engel ernsthaft Schaden genommen. Das lag wohl nicht zuletzt an den Abgasen der Kalker Chemiefabriken, die dem Stein zusetzten. Der Kriegerverein brachte die nötigen Mittel für die Reparatur nicht auf und bot der Stadt Köln – inzwischen war Kalk eingemeindet – großzügig an, das Denkmal zu übernehmen. Die machte kurzen Prozess mit dem Engel und ersetzte ihn am Vorabend des Ersten Weltkriegs durch den Helm.

Was bleibt also vom Kriegerdenkmal? Ein Denkmal, dessen Zweck sich der Spaziergängerin nur nach Recherchen erschließt. Eine Anfrage an die Kalker Geschichtswerkstatt, ob sie sich an der Restaurierung beteilige, was diese ablehnte, weil sie kein kriegsverherrlichendes Denkmal herrichten wollte. Ein Hauch Politik auf dem Friedhof des Arbeiterstadtteils Kalk. Und so ist es sehr passend, dass mein Ausflug nach Kalk mit diesem Turbokompressor an der Haltestelle Kalk Kapelle endet. War es doch gerade die Industrie Kalks, nun selbst der Vergangenheit angehörig, die dem Engel auf dem Kriegerdenkmal den Garaus gemacht hatte…

Haltestelle Kalk Kapelle: Turbokompressor in Erinnerung an die Kalker Industrie

Zum Weiterlesen:


Eberhard Becker und Michael Werling (Hg.), Der alte Friedhof in Köln-Kalk. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Dokumentation in Text, Bild und Zeichnung, Köln 2008.
Hier kann man die Geschichte des Kriegerdenkmals kurz und knapp nachlesen. Auch das Vorwort der Geschichtswerkstatt Kalk lohnt sich, u.a. wegen der Frage, was man erhalten möchte und was nicht.

Klaus Saul, Der „Deutsche Kriegerbund“. Zur innenpolitischen Funktion eines „nationalen“ Verbandes im kaiserlichen Deutschland, in: MGZ 1969 (6), S. 95-159.
Nur kurz reingelesen, argumentiert stark für die Politisierung der Kriegervereine gegen die Arbeiterbewegung.

https://fundstuecke.koeln/2022/01/01/napoleonstein/
Mir ist an anderer Stelle in Köln auch schon ein Veteranenverein begegnet, allerdings von den napoleonischen Kriegen in den 1810er Jahren. Quasi der Großvater der Kriegervereine ab den 1860er Jahren.

Der alte Friedhof Kalk

Es wird Zeit, dass wir das linksrheinische Köln verlassen und übersetzen, um uns im Rechtsrheinischen auf Spurensuche zu begeben. Wer zu viel Nähe zum Wasser scheut, kann auch die KVB-Linien 1 oder 9 nehmen. Es geht nach Kalk!

Ein toter Friedhof neben den Gleisen

Wir fahren bis Kalk Kapelle, biegen in die Kapellenstraße ab, passieren dabei die Kalker Kapelle und sehen nach wenigen hundert Metern linkerhand einen Park. Er ist von einem Zaun und Eingangstoren umgeben, nicht besonders schön (was vielleicht auch an der Jahreszeit liegt) und auch nicht beeindruckend groß. Nach hinten bilden Gleise die Begrenzung, schon beim Betreten des Parks sehen wir Güterzüge aus der Ferne.

Der alte Friedhof Kalk in Wintertracht

Ein unspektakulärer Ort, aber trotzdem unser Ziel, denn dieser Park ist der alte Friedhof Kalk. Er entführt uns in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sich Kalk, damals noch nicht zu Köln gehörig, zur Industriestadt entwickelte und mehr Platz brauchte, um seine Toten zu beerdigen. Doch der Reihe nach.

Leben und Sterben in Kalk

Kalk war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine ländlich geprägte Gemeinde mit überschaubaren 96 Einwohnern (Stand 1846). Ab den 1850er Jahren siedelten sich hier Kölner Unternehmen im großen Stil an, etwa aus der Chemie- und der Metallbranche. Für sie war Kalk attraktiv, weil Land günstig war und außerhalb der Kölner Festungsanlagen lag. Damit durften die Unternehmen gemäß preußischer Bestimmungen in Kalk Fertigungsanlagen errichten. Die Industrialisierung erfasste den Ort, die Einwohnerzahlen explodierten. Lebten 1865 schon fast 3000 Menschen in Kalk, erreichte die Einwohnerzahl um 1900 die 20000. 1881 hatte Kalk das Stadtrecht erhalten, 1910 wurde es ein Stadtteil Kölns.

Bei einer so rasanten Einwohnerentwicklung stieg auch der Bedarf an Friedhofsfläche. Das zeigt sich am alten Kalker Friedhof, der in den 1850ern eingeweiht worden war. Er lag damals außerhalb der Siedlung auf freiem Feld. Damit kamen die Kalker den Bestimmungen nach, die unter Napoleon in Kraft getreten waren und von den Preußen fortgeführt wurden. Sie untersagten Bestattungen innerhalb der Stadtmauern und führten, wir erinnern uns, auch zur Gründung des Melaten-Friedhofs auf der anderen Rheinseite. Auf dem Kalker Friedhof wurden Katholiken und Protestanten nebeneinander bestattet, was den katholischen Gemeindevorstand in Kalk in den 1850ern sehr erzürnte. Die jüdischen Einwohner von Kalk wurden auf dem jüdischen Friedhof in Deutz beerdigt.

Obwohl der alte Friedhof mehrmals erweitert wurde, reichte der Platz schon um 1900 nicht mehr aus. Der Stadtrat schaute sich nach freien Flächen um – im nun sehr viel dichter besiedelten Kalk keine einfache Aufgabe. Die Wahl fiel schließlich auf ein Gelände in Merheim, östlich von Kalk. Hier erfolgte 1904 die Einweihung des neuen Kalker Friedhofs. Der alte Friedhof wurde geschlossen, wobei in den Folgejahrzehnten noch vereinzelt Beerdigungen in Familiengräbern stattfanden. Da nur wenige Tote umgebettet wurden, verblieben die meisten Gebeine auf dem alten Friedhof. In den 1950er Jahren wurde das Gelände in einen Park umgestaltet.

Erhaltener Grabstein auf dem alten Friedhof

Heute ist der alte Friedhof ein seltsamer Ort. Durch die verstreuten Grabstätten erkennt die neugierige Spaziergängerin, wozu das Gelände ursprünglich gedient hat. Nun ist es vor allem ein Hundeparadies für Anwohner aus der Nachbarschaft. Der alte Friedhof wirkt, als sei er von der Zeit überholt worden: Beim Bau noch außerhalb der Besiedlung, ist er längst eingequetscht zwischen Bahngleisen, einer Kirche, einer Straße und Wohnhäusern. Ein handtuchgroßer Friedhof für einen Stadtteil, der schnell über dieses Begräbnisort hinauswuchs. So profan der Blick auf die Güterzüge ist, so berührend sind die einzelnen Grabsteine als Spuren der Verstorbenen und dessen, wofür dieser Ort einmal stand.

Zum Weiterlesen:

Eberhard Becker und Michael Werling (Hg.), Der alte Friedhof in Köln-Kalk. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Dokumentation in Text, Bild und Zeichnung, Köln 2008.
Projekt der Geschichtswerkstatt Köln und der Architekturfakultät der FH Köln zum Friedhof. Das Buch dokumentiert mit viel Aufwand alle erhaltenen Grabsteine und macht Vorschläge für eine weitere Nutzung des Ortes.

Das Ehrenmal, Teil 2

Versetzen wir uns an das Ende des 19. Jahrhunderts. Wären wir um 1897 über den damals deutlich kleineren Melaten-Friedhof spaziert, hätte sich uns das Ehrenmal folgendermaßen präsentiert:

Ehrenmal um 1897. Urheber unbekannt, gemeinfrei

Der Anblick im Jahr 2022 ist nicht nur wegen der kahlen Bäume etwas trister:

Stand das Denkmal 1897 noch auf einem richtigen Steinpodest, so ist dieses heute weitgehend von matschigem Grün bedeckt. Was ist mit der großen Figur passiert, die früher auf dem Denkmal thronte? Und woher kommt eigentlich das bronzene Sturmgepäck mit Tafel, das heute vor dem Denkmal steht? In diesem Beitrag schauen wir uns an, wie ein Denkmal entsteht, sich verändert und neu zusammengesetzt wird – und wie sich darin Stadt- und Landesgeschichte spiegelt.

Gefeiert und zerstört

Knapp 250 deutsche Soldaten starben während des deutsch-französischen Krieges 1870/1871 in Kölner Lazaretten. Sie fanden auf einem Gräberfeld auf dem Melaten-Friedhof ihre letzte Ruhe. Ihnen zu Ehren sollte, so der Stadtrat, ein Denkmal auf dem Melaten-Friedhof errichtet werden.

Im Januar 1874 diskutierten die Herren Stadtverordneten den Entwurf, der uns weitgehend bekannt vorkommt: ein kreuzförmiges Denkmal mit mittigem Sockel, auf dem eine Germaniafigur steht. Die Diskussion drehte sich vor allem um das Material (Belgischer Granit wird grau, wenn man ihn nicht regelmäßig mit Leinöl behandelt!), das Größenverhältnis zwischen Statue und Unterbau (Denkmal mit figuraler Krönung oder Figur mit Unterbau?) sowie die Frage, ob die Verstorbenen namentlich aufgeführt werden sollten (was der Oberbürgermeister bejahte, schließlich handele es sich auch ein Grab). Wer Deutschtümelei oder nationalen Taumel erwartet hat, den belehrt das Ratsprotokoll eines Besseren. Sieg über den Erbfeind hin oder her, hier ging es um die Mühen der Ebene.

Über die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln kann man die digitalisierten Ratsprotokolle der Stadt Köln seit 1848 (!), mit Unterbrechungen, lesen.

Nach überraschend wenig begeisterter Diskussion entschied der Stadtrat mehrheitlich, den Entwurf anzunehmen. Er gab den Bau des Denkmals in Auftrag. Die Germania mit Krone und Schild, die wir heute nicht sehr sehen, schaute westwärts, in Richtung des Friedhofwegs. Das Denkmal wurde am 2. September 1875, dem Sedantag, feierlich eingeweiht. In den Folgejahren war das Ehrenmal Ziel von patriotischen Umzügen und Gedenkveranstaltungen für die gestorbenen Soldaten. Der Sedantag war im Kaiserreich zwar kein offizieller Feiertag, bot aber Gelegenheit für Umzüge, feierliche Reden, Sportspiele, Bälle – und Denkmaleinweihungen.

Von diesem feierlichen Ambiente bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist es ein weiter Weg. 1945 lagen große Teile Kölns in Trümmern. Auch der Melaten-Friedhof hatte Verwüstungen durch Bomben erlitten. Während manche Gräber komplett zerstört wurden, war das Ehrenmal zwar beschädigt, schien insgesamt aber relativ glimpflich davonzukommen. Allerdings verschwand die Germaniafigur in den frühen Nachkriegsjahren auf mysteriöse Art und Weise. Manche vermuten, dass die beschädigte Figur abgenommen wurde und dann verloren ging. Im Historischen Archiv verweist eine Signatur auf die zertrümmerte Germaniafigur auf dem Friedhof Melaten. Die Akte konnte ich leider nicht einsehen, weil sie erst noch restauriert werden muss. Das Schicksal der Germania bleibt also offen, sie residiert in jedem Fall nicht mehr auf dem Ehrenmal. Dafür erweiterte sich unser Fundstück ebenfalls nach 1945 um das bronzene Sturmgepäck.

Sturmgepäck vor dem Ehrenmal. Man beachte das kleine Kaktusschiffchen links daneben!

Von Mülheim am Rhein zu Köln-Mülheim

Schauen wir uns diesen Teil des Fundstücks etwas genauer an. Wir sehen eine Tafel mit der Aufschrift

„Den Söhnen unserer Stadt, die in den Kriegsjahren 1866, 70-71 den Heldentod starben“

Es folgen je sieben Namen für den Krieg 1866 gegen Österreich und 1870/1871 gegen Frankreich. Die Tafel wird halbseitig von einem gebundenen Eichenkranz als Zeichen militärischer Ehrung bedeckt. Auf bzw. hinter der Tafel befindet sich das Sturm- oder Marschgepäck eines Soldaten mit Zeltstangen, Stoff und obenauf einer Pickelhaube, die ihren Pickel verloren hat.

Die Tafel stammt aus Mülheim. Sie war Teil eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals, das 1898 eingeweiht wurde. Es bestand aus einem Reiter, Wilhelm I. hoch zu Ross, und der davorstehenden Tafel. Mülheim war 1898 noch eine eigenständige Stadt, es wurde erst 1914 Teil von Köln. 1943 wurde das Reiterdenkmal eingeschmolzen, vermutlich um das Metall für die Kriegsproduktion zu verwenden. Die Tafel blieb (absichtlich oder zufällig?) erhalten und fand ihren Weg auf den Melaten-Friedhof.

Die Toten, der die Tafel gedenkt, sind somit keine Kölner, sondern Mülheimer. Das Denkmal-Kuddelmuddel wird komplett, wenn man bedenkt, dass ein paar Meter weiter auf dem Melaten-Friedhof ein separates Denkmal für die (Kölner) Toten des Krieges von 1866 steht.

Zurück in die Nachkriegszeit: Die Germania war weg, die Mülheimer Tafel hat ihren Platz gefunden. In den 1950er Jahren wurde dennoch über den Abriss des Denkmals diskutiert. Die entsprechenden Akten im Stadtarchiv sind leider auch noch nicht restauriert, sodass ich nur vermuten kann, welche Argumente für oder gegen den Abriss im Raum standen. Naheliegend ist, dass Kriegsdenkmäler kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht sehr en vogue waren, gerade wenn sie das preußische Militär ehrten. Angesichts von Millionen Toten, die die Wehrmacht über Europa gebracht hatte, entsprachen Heldentod-Tafeln nicht der Zeit. Klar ist, dass der Stadtrat im September 1955 entschied, 40 000 DM für die Renovierung der Ehrenmale von 1866 und 1870/1871 auf dem Melaten-Friedhof bereitzustellen. Das war das vorläufige Ende der Debatte.

Vom Werden und Vergehen von Denkmälern

Das Ehrenmal, wie wir es heute auf dem Friedhof sehen, entspricht in mehrerlei Hinsicht nicht mehr dem Denkmal von 1875. Es hat einen Bestandteil, die Germania, verloren und wurde neu arrangiert, indem die Mülheimer Tafel hinzukam. Während das Ehrenmal im Kaiserreich Schauplatz militärischer Umzüge und Gedenkveranstaltungen für die Toten war, ist das heute nicht mehr denkbar. Das Verschwinden der Germania nach 1945 ist in diesem Sinne fast sinnbildlich. Das Denkmal verliert die Nationalfigur, so wie die Bundesrepublik nach dem Nationalsozialismus dem Militarismus und Nationalismus abschwören muss. Es ist also fast passend, dass die Mülheimer Tafel nicht passt. Tatsächlich war der Krieg von 1870/1871 nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs soweit weg, dass sich nicht mehr allzu viele um diese Toten kümmerten. Und vielleicht blieben auch einige unbehagliche Fragen, wie genau der preußische Militärfimmel und der Nationalsozialismus zusammenhingen.

Heute scheint die Stadt Köln eine Doppelstrategie zu fahren. Einerseits legt sie getreulich zu Allerheiligen und zum Advent ein offizielles Gesteck der Stadt vor dem Ehrenmal nieder. Andererseits verkommt die Substanz und das Denkmal geht Stück für Stück kaputt.

Ehrenmal mit Adventsgesteck der Stadt Köln

Nun steht das Ehrenmal nicht für den einfachsten Teil des preußischen Erbes, weshalb es auf der Müssen-wir-bald-mal-reparieren-Hitliste sicher nicht ganz oben auftaucht (looking at you, Dom!). Nichtsdestotrotz ist es eben auch ein Grab für 247 Männer. Und gerade der Verlust eines Denkmalteils und die Neuzusammensetzung führen die Wirren des 20. Jahrhunderts sehr eindrücklich vor Augen. Deshalb, liebe Stadt Köln, wie wär’s mit einem Metadenkmal? Ein Denkmal für ein Denkmal oder zumindest eine Erklärung, was die neugierige Spaziergängerin eigentlich vor sich hat? Ich bin dafür!

Zum Nach- und Weiterlesen:

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/das-reich/krieg1870/
Der deutsch-französische Krieg kurz und knapp im Überblick beim LeMO (Lebendigen Museum Online).

https://www.deutschlandfunk.de/deutsch-franzoesischer-krieg-von-1870-71-verdraengter-sieg-100.html
Spannender Beitrag im Deutschlandfunk über die Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg dies- und jenseits der Grenze. Lohnt sich sehr!

https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-262025
Das Ehrenmal hat einen Eintrag in der Datenbank des Landschaftsverbands Rheinland zum Kulturellen Erbe. Guter Überblick und schöne Fotos.

Iris Brenner, Kölner Denkmäler 1871–1918. Aspekte bürgerlicher Kultur zwischen Kunst und Politik, Köln 2003.
Sehr umfangreiches Buch zum Denkmalbauboom im wilhelminischen Köln. Hier taucht das eingeschmolzene Kaiser-Wilhelm-Denkmal aus Mülheim auf.

Das Ehrenmal des deutsch-französischen Kriegs

Wir sagen Napoleon adieu und folgen der Nord-Süd-Achse auf dem Melaten-Friedhof geradeaus. Wenn die Ost-West-Achse des Friedhofs die Millionenallee mit besonders pompösen Gräbern ist, dann ist das hier die Kriegsmeile. Kaum haben wir den Napoleonstein hinter uns gelassen, blicken wir schon auf das Denkmal für die gefallenen Kölner Soldaten des Feldzugs von 1866. Es befindet sich in der Mitte des Weges und ist gut am preußischen Adler zu erkennen, der auf der Spitze thront und seine Schwingen ausbreitet. 1866 führte Preußen Krieg gegen Österreich-Ungarn und Verbündete, um seine Vorherrschaft innerhalb der deutschen Staaten zu festigen. Die Kölner als Bürger der Rheinprovinz kämpften auf Seiten Preußens, an ihre Toten erinnert das Denkmal.

Das Denkmal für die verstorbenen Kölner Soldaten des Feldzugs von 1866

Auch den Adler lassen wir hinter uns, gehen weiter geradeaus und bewegen uns auf unser Fundstück zu, das bereits hinter den Bäumen hervorlugt. Es befindet sich auf der rechten Seite des Hauptweges Nord-Süd in prominenter Gesellschaft. Direkt gegenüber auf der linken Seite des Weges sehen wir die Adenauer’sche Familiengedenkstätte. Wir wenden uns aber nach rechts und nehmen unser Fundstück genauer in Betracht: das Ehrenmal für die verstorbenen Soldaten des deutsch-französischen Krieges 1870/1871.

Doch zuerst ein Exkurs zu dem Krieg, der Anlass zum Bau des Ehrenmals gab. Beim deutsch-französischen Krieg kämpften deutsche Staaten unter der Führung Preußens gegen das französische Kaiserreich. Der militärische Konflikt dauerte von Sommer 1870 bis Winter 1871, er fand fast ausschließlich auf französischem Boden statt. Bis zu 48 000 deutsche und rund 140 000 französische Soldaten starben auf den Schlachtfeldern. Am Ende des Krieges stand eine verheerende französische Niederlage. In diesem Zuge musste der französische Kaiser Napoleon III. abdanken, auf das Zweite Kaiserreich folgte die Dritte französische Republik. Auf der anderen Seite ging das Ende des Krieges mit der Gründung des deutschen Kaiserreiches einher. Im Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum deutschen Kaiser gekrönt.

Köln lag 1870/1871 weit außerhalb der Kampflinie, allerdings nahmen die hiesigen Lazarette verletzte deutsche Soldaten auf. Im Kaiserreich wurde die Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg sehr gepflegt, um das (preußische) Militär zu feiern und die Einheit des Reiches zu beschwören. Gedenkveranstaltungen und Paraden erinnerten jährlich im September beim Sedantag an den entscheidenden Sieg bei Sedan. Viele Städte und Dörfer errichteten Denkmäler für gestorbene Soldaten, so auch Köln.

Ehrenmal des deutsch-französischen Kriegs

Was sehen wir?

Unser Fundstück steht auf einer kleinen Anhöhe. Es ist kreuzförmig aufgebaut, in der Mitte überragt ein Pfeiler die Kreuzarme. Auf der dem Weg zugewandten Seite des Pfeilers verrät eine Inschrift, wem das Denkmal gewidmet ist:

„Zum Andenken an die zu Coeln in Folge des Krieges 1870-71 verstorbenen Soehne Deutschlands.“

Im Gegensatz zum Napoleonstein ehrt dieses Denkmal also nicht Kölner, sondern deutsche Soldaten, die in Köln gestorben sind. Woher die Verstorbenen kamen, können wir Tafeln entnehmen, die seitlich an den Kreuzarmen angebracht sind. Dort sind sortiert nach Königreich bzw. Herzogtum die Namen der Geehrten und ihre Armeeeinheit aufgelistet. Die meisten stammten, kaum überraschend, aus Preußen. An den Kreuzenden sind auf halber Höhe die Namen der Orte notiert, wo die deutsche Armee 1870/1871 wichtige Siege errungen hatte. Am prominentesten, weil zum Weg platziert, ist Sedan. Auf den anderen Seiten finden wir, von Banderolen umrankt, Metz, Paris und Orléans.

Über den Ortsnamen und Erinnerungstafeln reihen sich die Wappen der kriegsführenden deutschen Teilstaaten rund um das Denkmal. Dem Kölner und dem preußischen Wappen sind die Ehrenplätze oben auf dem Sockel vorbehalten. Neben militärischen Attributen – auf dem Sockel sind Pickelhauben zu erkennen, die teilweise ihren Pickel verloren haben – sehen wir geometrische, florale Verzierungen im Stile der Neorenaissance.

Der Zahn der Zeit hat dem Ehrenmal deutlich zugesetzt. Der Stein ist von Witterungseinflüssen teilweise schwarz gefärbt und bröckelig. Moos wächst hier und da, auf den Kreuzarmen haben auch andere Pflanzen und mehrere Bäumchen gewurzelt. Allein die Granittafeln mit den Verstorbenen trotzen der Witterung, ihre Namen sind problemlos zu lesen.

Was ist seit 1875, dem Jahr der Denkmalweihe, passiert? Köln hat sich stark vergrößert. Deutschland hat zwei Weltkriege verloren und Preußen ist nicht mehr. Wie sich die Kölner Stadtentwicklung und die große Weltpolitik im Ehrenmal widerspiegeln, kannst du in Teil 2 lesen.

Der Napoleonstein, Teil 2

Unser kleines Fundstück auf dem Melaten-Friedhof ist nun ausführlich von allen Seiten bestaunt und beschnuppert. Und was sagt uns das Ganze? Nach dem napoleonischsten aller Cliffhanger in Teil 1 kommen hier ein paar Gedanken zum Hintergrund: Wie kommt der Napoleonstein auf den Melaten-Friedhof?

Kölner in Napoleons Armeen, Veteranen in Preußen

Das Denkmal verweist auf „Napoleons Armeen“ in der Mehrzahl und damit auf die verschiedenen Feldzüge, an denen Kölner Soldaten teilnahmen. Das Datum der Denkmalweihe, der 6. Juli 1853, ist nicht zufällig gewählt. Am 6. Juli jährt sich die Schlacht von Wagram, bei der die französische Armee (unter Beteiligung von Kölner Soldaten?) die österreichischen Truppen 1809 besiegte. Bei der Formulierung „fern von ihrer Heimath gefallenen“ mögen die Stifter vor allem den Russlandfeldzug von 1812 im Sinn gehabt haben. 1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt, die letzte Schlacht Napoleons vor seiner ersten Verbannung nach Elba. Auch in Leipzig kämpften die Kölner auf der Seite Frankreichs. Wir wissen nicht, wie viele Soldaten aus Köln insgesamt „fern von ihrer Heimath“ im Dienst der Grande Armée gestorben sind. Mit Sicherheit können wir von mehreren Hundert, vielleicht sogar Tausenden ausgehen. Von einem Kontingent aus dem Großherzogtum Berg, einem rechtsrheinischen Verbündeten Frankreichs, überlebten nur 300 der 5 000 Soldaten den Russlandfeldzug.

Mehrere Jahrzehnte nach den Ereignissen, genauer gesagt 1853, stifteten die Veteranen den Napoleonstein auf dem Melaten-Friedhof. 1853 war Köln allerdings Teil der preußischen Rheinprovinz. Der Napoleonstein erinnerte folglich an die Soldaten, die für die falsche Sache, nämlich als Gegner Preußens, gestorben waren. Damit waren die Kölner freilich nicht allein. In den linksrheinischen Gebieten hatten sich ab den 1830er Jahren allerorten Veteranen aus der Grande Armée in Vereinen zusammengefunden. Spuren ihres Treibens finden wir in Gestalt von mindestens 25 Napoleonsteinen, u.a. in Worms, Mainz, Bingen, Koblenz und Köln. Das älteste Denkmal befindet sich auf dem Mainzer Hauptfriedhof, es wurde 1834 geweiht. Die Kölner waren mit ihrem Napoleonstein von 1853 eher spät dran.

Viele Denkmäler ähneln einander in der Gestaltung. Alle führen die Stifter namentlich auf, einige geben weitere Informationen wie Geburts- und Sterbejahr an. Manche, etwa der Mainzer und der Kölner Napoleonstein, nennen die Dienstgrade in französischer Sprache, manche in deutscher Sprache. Den antik anmutenden Helm, wahlweise mit darunter drapiertem Mantel und Schwert finden wir u.a. in Frankenthal, Worms, Mainz, Mainz-Hechtsheim, Mainz-Kastel und Koblenz. Anhand der sehr großen Ähnlichkeiten in der Gestaltung können wir davon ausgehen, dass sich die Veteranenvereine untereinander austauschten.

Für die Frage, wie man an Soldaten erinnert, die für die falsche Sache gestorben sind, lohnt sich ein Blick nach Koblenz. Der dortige Napoleonstein wurde 1843 auf dem Hauptfriedhof geweiht, als Koblenz, ebenso wie Köln, zu Preußen gehörte. Auf seiner Vorderseite ist zu lesen

„Von den vormaligen noch übrigen Soldaten Napoléon’s welche in ihr Vaterland zurückgekehrt zu Coblenz als friedfertige und ihrem ietzigen Fürsten treu ergebene Bürger gestorben sind und hier ruhen, errichtet am 5ten Mai 1843, dem Todestag des Kaisers (5ten Mai 1821).“

Hier verbindet sich Napoleonverehrung – der genannte Kaiser ist natürlich Napoleon – mit einem Treueschwur gegenüber dem jetzigen Herrscher. Das Denkmal auf dem Melaten-Friedhof ist zurückhaltender, sowohl was Napoleon als auch was Preußen betraf. Trotzdem ist klar, dass dieses Gedenken politisch war. Vielleicht entpolitisierten die Kölner ihr Denkmal, indem sie das Gedenken lokal verwurzelten, durch die Begriffe „fern der Heimath“, „Cölner Krieger“ und „heimgekehrten“. Vielleicht war zu viel Demut gegenüber Preußen 1853 auch nicht mehr nötig, weil die Herrschaft Preußens im Rheinland stabil war.

Jenseits aller Franzosenzeitfolklore ist der Napoleonstein für mich eine besondere Spur der französischen Besetzung Kölns. Er erinnert erstens an die enormen Todesopfer der Feldzüge quer durch Europa. Die Männer starben zu Hunderttausenden auf den Schlachtfeldern Napoleons. Dadurch, dass die Kriege lang zurückliegen, sind uns diese Toten wenig präsent. An eine kleine Gruppe unter ihnen erinnert, wenn auch anonym, der Gedenkstein.

Zweitens sind die Stifter spannend. Welchen Teil ihrer Identität machte die Selbstbeschreibung als Veteran der Grande Armée aus? Traten sie aus tiefempfundener Pflicht oder aus Geselligkeitsgründen dem Veteranenverein bei – oder wurden sie einfach von Bekannten mitgeschleppt? Welchen Stellenwert nahm das Miteinander mit anderen Veteranen und das Erinnern an die verstorbenen Kameraden für sie individuell ein? Das wird wohl im Dunkeln bleiben. Viele der Veteranen haben keine anderen Spuren hinterlassen als den Napoleonstein, sodass dieses Denkmal uns einen winzigen Einblick in ihr Leben gibt.

Drittens sind Veteranendenkmäler aus den napoleonischen Kriegen ein größeres linksrheinisches Phänomen. Das Fundstück auf dem Melaten-Friedhof ist kein Sonderfall, sondern Teil einer regionalen Struktur entlang des Rheins. So sehr sich die Denkmäler ähneln, so viele lokale Eigenheiten finden wir bei jedem. In dem Sinne schließe ich mit einem Hoch auf die Lokalgeschichte und ziehe meinen Hut, wenn du bis zum Ende mitgelesen hast!

Props gehen an:

https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/koelner-universitaetsmagazin/unimag-einzelansicht/napoleon-am-rhein
Allgemeine Infos zur napoleonischen Besatzung Kölns. Das Veteranendenkmal auf dem Melaten-Friedhof taucht auch kurz auf.

https://www.napoleonischekriege.uni-mainz.de/die-napoleonsteine-in-rheinhessen/#_ftn6
Abgeschlossenes Projekt der Uni Mainz zu Napoleonsteinen in Rheinhessen, vor allem in Mainz. Ausführliche Infos zum Hintergrund des Mainzer Denkmals, inklusive Fotos. Lohnt sich schon allein für den extrem wehrhaften Zaun um das Mainzer Denkmal!

http://www.ingelheimer-geschichte.de/index.php?id=273
Sehr umfangreiche Recherche des Ingelheimer Historischen Vereins über Napoleonsteine in Rheinhessen, inklusive schöner Fotos. Beachte insbesondere das Veteranendenkmal in Großwinternheim (lokale Eigenheiten!)

https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-95477-20140627-6#
Beschreibung des denkmalgeschützten Hauptfriedhofs Koblenz. Hier gibt es auch ein Bild des dortigen Napoleonsteines mit dem obligatorischen Helm obendrauf.

Der Napoleonstein

Wir betreten den Melaten-Friedhof über den rechten Eingang an der Aachener Straße und damit rechts von der Kapelle. Geradezu liegt der Hauptweg Nord-Süd. Folgen wir diesem Weg immer geradeaus, passieren wir drei Denkmäler, die aus verschiedenen Perspektiven von deutsch-französischer Geschichte erzählen.

Schon nach wenigen Metern sehen wir ein Hochkreuz in der Mitte der Nord-Süd-Achse. Das Kreuz erinnert gemeinsam mit der davor eingelassenen Bodenplatte an die im Ersten Weltkrieg verstorbenen Friedhofsmitarbeiter Kölns. In der linken hinteren Ecke des Hochkreuzes entdecken wir eine fast unauffällige Stele. Bei ihr sticht der farbliche Unterschied zwischen der hellen sandsteinfarbenen Stele und dem deutlich dunkleren, teilweise bemoosten Abschluss nach oben und unten ins Auge. Das Denkmal trägt auf der Vorderseite die Aufschrift

„Zum Andenken an die unter den Armeen Napoleons fern von ihrer Heimath gefallenen Krieger der Stadt Coeln. Errichtet von ihren heimgekehrten Cameraden am 6. Juli 1853.“

Der Napoleonstein

Es ist ein Veteranendenkmal für die gestorbenen Soldaten der napoleonischen Kriege – ein Napoleonstein. Napoleon, auf den auch die Errichtung des Melaten-Friedhofs zurückgeht, begegnet uns hier ein zweites Mal.

Was sehen wir?

Das Fundstück ist ein Steinquader mit der oben genannten Inschrift auf der Vorderseite. Auffällig ist die veraltete Rechtschreibung bei den Wörtern Heimath und Cameraden und natürlich das C in Coeln, das heute einem K gewichen ist. Auf den drei anderen Seiten sehen wir aufgelistet Namen von Männern mit Geburts- und Sterbedatum sowie Armeegrad.

Dem Sterbedatum nach zu urteilen, kann es sich nicht um die „fern von ihrer Heimath gefallenen Krieger“ handeln, sondern nur um die Stifter. Die Sterbedaten bewegen sich zwischen den 1840ern und den 1870er Jahren und damit deutlich nach den napoleonischen Kriegen. Der Dienstgrade der Stifter sind in französischer Sprache gehalten. Wir lesen zum Beispiel von

„Stollwerck, Nic., geb. 1788
cuirassier du 11me regt.“

Der Veteran Nic. Stollwerck hatte als Kürassier, also in der Kavallerie, des 11. Regiments gedient. Er starb 1851, vor Errichtung des Napoleonsteins. Dieses Schicksal teilt er mit vielen verzeichneten Stiftern, sodass die drei Seiten fast den Charakter einer Mitgliederliste des Veteranenvereins von der Gründung bis zum Erlöschen bekommen. Wie vollständig die Liste ist, wissen wir natürlich nicht. Die Tatsache, dass die Dienstgrade in französischer Sprache aufgeführt sind, verweist auf den Dienstherrn: Die Kölner Soldaten hatten auf Seiten Frankreichs gekämpft, war Köln doch ab 1794 Teil des Empire français.

Der Fuß der Stele ist bemoost. Dennoch sind Blumenornamente erkennbar, die sich um die vier Seiten winden. Den oberen Abschluss bilden ebenfalls geometrische Blumenornamente, an den vier Ecken befinden sich Adler. Auf der Stele sitzt ein kleinerer Quader, auf dessen Vorderseite sechs gekreuzte Flaggen und ein gekröntes N für Napoleon zu sehen sind. Auf dem Quader thront als krönendes Element ein Helm im antiken Stil auf einem Mantel. Wir erkennen den klassizistischen Baustil mit seiner Liebe für die Antike und der Geometrie der Ornamente. Der Bezug zu Napoleon wird bildlich anhand des kaiserlichen Adlers und des N deutlich.

So viel Begeisterung für Napoleon im Jahr 1853, als das Denkmal errichtet wurde? Da war doch was… Was das alles mit Preußen und der Erinnerung an die falsche Sache zu tun hat, kannst du in Teil 2 weiterlesen.